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Verzockt!

Schachfreunde Neukölln bricht mit drei Nullen die Spitze weg

von Harald Fietz, Fotos Otto Borik, September 2001

Europacup Kreta 2001

 

   Das Parkett war bereitet, sieben Runden Schweizer System für die Schachfreunde Neukölln zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ausgestattet mit reichlich Brettpunkten stand in der vorletzten Runde die Mannschaft Nummer 31 unter 39 Teams bei der Europäischen Meisterschaft für Vereinsmannschaften auf dem Programm. Selbst mit einem knappen Sieg gegen den weißrussischen Vertreter Vesnianka wäre man am letzten Tag auf Platz neun vorgestoßen - und dann hätte vieles passieren können, je nachdem wenn man zugelost bekommen hätte.

 

Schachfreunde Neukölln: Stephan Berndt

Stephan Berndt

 
   Aber hätte und wenn gilt nicht, da kurz vor Ablauf der sieben Stunden Maximalspielzeit Stephan Berndt sein Damenendspiel aufgab. Der Internationale Meister Siarhei Azarau, der einzige Titelträger bei den Weißrussen, hatte gegen die Drachenvariante mit 9....d5 des Berliners den üblichen Bauern für Kompensation ins Endspiel retten können. Auch wenn zwischenzeitlich der Weg über das Turmendspiel die mühsamste Option war, die Chancen auf eine Remis und einen unentschiedenen Ausgang des Mannschaftskampfes waren aus Neuköllner Sicht gering.

   Dabei hatte sich die Angelegenheit gut angelassen. Gut gelaunt spazierten die sechs Recken aus der Hauptstadt durch die Parkanlage des Crete Panorama Hotels, schließlich war man Favorit gegen das Team, bei welchem einer der sechs eingeplanten Spieler nicht den Weg nach Kreta schaffte. Mit Rainer Bezler und und Philipp Scheffknecht, zwei "Leihspielern" des österreichischen Vertreter SK Hohenems, konnte im Wechsel gerade die Startformation besetzt werden. Henrik Rudolf zeigte dem Einspringer Bezler aber sofort, wie ein Läuferopfer auf b5 in der sizilianischen Eröffnung funktioniert. Zwar galt es einige einzige Züge zu finden, aber auch wenn der Rostocker Mathematik-Student diesen Opferreigen noch in keiner Turnierpartie durchführen musste, ein e4-Spieler kennt den Mechanismus, mit welchem die weißen Figuren den König zur Strecke bringen. Die schwarzen Schwer- und Leichtfiguren stehen einfach völlig deplaziert am falschen Flügel.

   Nebenan - bei unserem Top-Scorer Lars Thiede - begannen die Figuren auch bereits die Koordination in Richtung weißer Königsstellung. Doch zuvor lieferte Martin Borriss gegen den Ältesten im Vesnianskaer Team, den 60-jährigen Wladimir Litwinow, den Punkt ab. Mit Richter-Rauser ging es nicht durch die wilden Hauptvarianten, sondern entlang der strategischen Aufmärsche nach 6.Le2. Obwohl der Dresdener im Berliner Team die Prinzipien des Eröffnungssystems folgerichtig anwendete - schwarzer Bauernsturm mit f5 und e5 versus Bauernphalanx mit b4 und c5 -, am Ende konnte Weiß die besseren Linien für sein Figurenspiel öffnen.

   Doch der Ausgleich schockte uns noch nicht, weil Lars erst eine Figur für einen auf c3 vorgerückten Bauern, der die Mattabsichten unterstützte, opferte, dann die Figur zurück bekam, um mit dem verbliebenen Material die Bauernschwächen des 20-jährigen Junioren abzuräumen. Der gebürtige Spandauer strebt mit sensationellen 5,5 Punkten aus sechs Partien geradewegs den Brettpreis an. Nach knapp vier Stunden lag also Neukölln mit 2:1 in Führung, und bei Dirk Poldauf war derweil ein Remis das wahrscheinlichste Ergebnis - gute Technik vorausgesetzt. Doch zuerst folgte erneut eine der horriblen Zeitnotschlachten von Rainer Polzin. Mit den 30 Sekunden Bonus pro Zug verschaffte er sich bislang im Turnier immer ausreichend Zeit, um zwei, drei wichtige Gedanken zu sammeln. Heuer gestaltete sich die weiße Stellung in einem geschlossenen Sizilianer mit frühen f4 zu kompliziert. Im 35. Zug leuchteten drei Nullen im Display. Genau zum idealen Augenblick opferte der 16-jährige Alexander Zhigalko einen Bauern; die Konsequenzen einzuschätzen beschäftigte unseren bisher am längsten am Brett sitzenden 1,98-Mann diesmal zu lang: ZÜ und Matchausgleich. Die Gesichter wurden längern, denn am Topbrett sanken die Perspektiven und Dirk hatte sein taktische Partiephase längst hinter sich. Im Endspiel mit Dame und Turm hielt der weißrussische Underdog mit einem entfernten Freibauern den Trumpf in der Hand. Doch mit einem taktischen Turmtausch eroberte der Schachjournalist einen Stein zurück. Mit den Damen war es dann leichter möglich, das Remis zu halten, was nach viereinhalb Stunden auch besiegelt wurde.

   Dann begann die quälend-lange Phase, in der Stephan Berndt gegen Stellung und Husten ankämpfte. Das Ende ist bekannt - wir haben es verzockt.

   Auch dem zweiten deutschen Vertreter Werder Bremen ging es nicht besser mit 1:5 kam die Schachabteilung des Vereins mit den grünen Trikots gegen die Bosnier von Kiseljak unter die Räder. Einzig Sven Joachim braucht die Hoffnung nicht sinken lassen. In der Bundesliga längst eine feste Größe, fehlt im noch der passende IM-Titel. Einen Schritt dazu hat er mit 4,5 Punkten aus sechs Partien (dabei wegen des Brettwechsels viermal mit schwarzen Steinen!) bereits getan. Vorzeitig sicherte er sich die Norm, die bei dieser Meisterschaft ausnahmsweise auch in sieben Runden möglich ist. In der Schlussrunde ist sogar die Großmeisternorm in Reichweite.

   Nicht mehr im deutschen Blickfeld ist der Titel. Der wurde bereits im innerrussischen Duell vergeben. Norilsky Nikel besiegte St. Petersburg mit 3,5:2,5 und hat zwei Mannschaftspunkte Vorsprung. Da gegen alle Verfolger bereits gespielt wurde, wird es heute wahrscheinlich ein kurzes 3:3 gegen wen auch immer geben. Dann kann der Wodka fließen. Die Teamstrategie um Ex-Fide-Weltmeister Alexander Chalifman war allerdings etwas seltsam. Selbst vereinbarte er wiederum ein Kurzremis gegen Sergei Dolmatow und Kämpfer Viktor Kortschnoi musste nach der Vortagniederlage pausieren. So konnte sich der "Mann der lockeren Opfer", Alexander Grischuk, an Brett zwei bei Nikel leisten, gegen Peter Swidler seine Siegesserie zu stoppen. Garant für den Gewinn war Sergei Rublewski, der gegen Alexander Sakaev in der französischen Tarrasch-Variante einen Bauern in ein Turmendspiel mitnehmen konnte. Ein breites Lächeln und viel Schulterkopfen. Mal sehen, wer am Abschlusstag alles fröhlich feiern wird!

 










Azarov,S - Stephan,B [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.c4 e6 2.g3 Sf6 3.Lg2 d5 4.Sf3 Le7 5.0-0 0-0 6.d4 dxc4 7.Dc2 c5 8.dxc5 Lxc5 9.Sbd2 Sc6 10.Sxc4 Sb4 11.Db1 b5 12.Sg5 Sbd5 13.Se5 h6 14.Se4 Sxe4 15.Lxe4 Lb7 16.Sd3 Lb6 17.Lf3 Tc8 18.a4 bxa4 19.Txa4 Lc6 20.Tc4 Se7 21.Lxc6 Sxc6 22.Te1 Dd5 23.b3 Sd4 24.La3 Tfd8 25.Sf4 Db5 26.Tec1 Txc4 27.bxc4 Da6 28.Lb2 e5 29.Lxd4 Txd4 30.c5 exf4 31.cxb6 axb6 32.Df5 Td8 33.Tc7 Tf8 34.Dxf4 Dxe2 35.Tb7 b5 36.Df5 b4 37.Db5 De1+ 38.Df1 De4 39.Dg2 Dc4 40.Df3 Te8 41.Kg2 Te5 42.Tb8+ Kh7 43.Tb7 Kg6 44.g4 h5 45.h3 Tb5 46.Txf7 hxg4 47.hxg4 Dxf7 48.Dd3+ Tf5 49.gxf5+ Kh7 50.Kf1 b3 51.f6+ Kh6 52.fxg7 Kxg7 53.Dc3+ Kg6 54.Ke1 Db7 55.Dd3+ Kg5 56.De3+ Kf5 57.Dd3+ Ke5 58.De3+ Kd6 59.Dd4+ 1/2-1/2

 
 










Potzin,R - Zhigalko,A [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.e4 c5 2.Sc3 d6 3.f4 Sc6 4.Sf3 g6 5.Lc4 Lg7 6.0-0 Sf6 7.d3 0-0 8.De1 e6 9.e5 Se8 10.exd6 Sxd6 11.Lb3 b6 12.Se4 Lb7 13.c3 La6 14.Lc2 Sxe4 15.Dxe4 Dd6 16.Ld2 Tad8 17.Tad1 Td7 18.Tfe1 Dd5 19.Lc1 Tfd8 20.Kf2 Lb7 21.a3 Dh5 22.De2 Se7 23.h3 Lf6 24.Tg1 h6 25.Sd2 Dh4+ 26.g3 Dxh3 27.Se4 Lg7 28.Lb3 h5 29.Th1 Dg4 30.Dxg4 hxg4 31.Ke2 Sf5 32.Thg1 Sd6 33.Ke3 Sf5+ 34.Ke2 c4 lost on time 0-1

 
 










Litvinov,V - Borriss,M [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Le2 e5 7.Sf3 h6 8.0-0 Le7 9.Te1 0-0 10.h3 Le6 11.Lf1 Sb8 12.Sd5 Sxd5 13.exd5 Lf5 14.c4 Sd7 15.Le3 Lg6 16.b4 b6 17.Tc1 f5 18.c5 f4 19.cxd6 Lf6 20.Ld2 e4 21.Sh2 Le5 22.Lc3 Lxd6 23.Dg4 Kh7 24.Txe4 h5 25.Df3 Lxe4 26.Dxe4+ g6 27.Ld3 Tf5 28.De2 Df8 29.De6 Se5 30.Lxe5 Lxe5 31.Tc6 Df7 32.Lxf5 Dxf5 33.Dxf5 gxf5 34.Sf3 Te8 35.d6 Lb2 36.d7 Td8 37.Sg5+ 1-0

 
 










Poldauf,D - Maljush,A [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.c4 e6 2.g3 Sf6 3.Lg2 d5 4.Sf3 Le7 5.0-0 0-0 6.d4 dxc4 7.Dc2 c5 8.dxc5 Lxc5 9.Sbd2 Sc6 10.Sxc4 Sb4 11.Db1 b5 12.Sg5 Sbd5 13.Se5 h6 14.Se4 Sxe4 15.Lxe4 Lb7 16.Sd3 Lb6 17.Lf3 Tc8 18.a4 bxa4 19.Txa4 Lc6 20.Tc4 Se7 21.Lxc6 Sxc6 22.Te1 Dd5 23.b3 Sd4 24.La3 Tfd8 25.Sf4 Db5 26.Tec1 Txc4 27.bxc4 Da6 28.Lb2 e5 29.Lxd4 Txd4 30.c5 exf4 31.cxb6 axb6 32.Df5 Td8 33.Tc7 Tf8 34.Dxf4 Dxe2 35.Tb7 b5 36.Df5 b4 37.Db5 De1+ 38.Df1 De4 39.Dg2 Dc4 40.Df3 Te8 41.Kg2 Te5 42.Tb8+ Kh7 43.Tb7 Kg6 44.g4 h5 45.h3 Tb5 46.Txf7 hxg4 47.hxg4 Dxf7 48.Dd3+ Tf5 49.gxf5+ Kh7 50.Kf1 b3 51.f6+ Kh6 52.fxg7 Kxg7 53.Dc3+ Kg6 54.Ke1 Db7 55.Dd3+ Kg5 56.De3+ Kf5 57.Dd3+ Ke5 58.De3+ Kd6 59.Dd4+ Ke6 1/2-1/2

 
 










Ginzburg,M - Thiede,L [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Le3 a6 5.Dd2 Sd7 6.0-0-0 b5 7.f3 Lb7 8.g4 Tc8 9.Kb1 c5 10.dxc5 Sxc5 11.Ld4 Sf6 12.g5 Sh5 13.Lh3 Se6 14.Lxg7 Shxg7 15.Sge2 Tc5 16.f4 0-0 17.Thf1 b4 18.Sd5 Lxd5 19.exd5 Sc7 20.Lg2 Sb5 21.Le4 Db6 22.Ka1 Tb8 23.Dd3 Da5 24.Db3 Dc7 25.Dd3 Da5 26.Sc1 Sc3 27.bxc3 bxc3 28.Sb3 Da3 29.Tb1 Tcc8 30.Dd1 Tb4 31.Dc1 Dxc1 32.Sxc1 Txe4 33.Tb3 Sf5 34.Kb1 Tec4 35.Tb6 a5 36.Sb3 a4 37.Sc1 Se3 38.Te1 Sxd5 39.Tb5 e6 40.f5 gxf5 0-1

 
 










Rudolf,H - Bezler,R [A00]
ECC 2001, 2001

 

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lg5 e6 7.f4 b5 8.e5 dxe5 9.fxe5 Dc7 10.De2 Sfd7 11.0-0-0 Lb7 12.Dg4 h5 13.Dh4 Sc6 14.Lxb5 axb5 15.Sdxb5 Dc8 16.Se4 Db8 17.Sed6+ Lxd6 18.Sxd6+ Kf8 19.Sxf7 Kxf7 20.Txd7+ Kg8 21.Lf6 Txa2 22.Dg5 1-0

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