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Schauen verboten!

Schachfreunde Neukölln mit Sweep zum ersten Europacupsieg

von Harald Fietz, Fotos Otto Borik, September 2001

Europacup Kreta 2001

 

   Nach der aufreibenden 1:5-Auftraktniederlage sannen die sechs Recken der Schachfreunde Neukölln in der zweiten Runde auf Revanche. Unter umgekehrten Vorzeichen waren die Hauptstädter diesmal der Favorit, da sie gegenüber ihren walisischen Kontrahenten vom Monmouth Minnows Chess Club an allen Brettern deutlich bessere Wertungszahlen aufweisen. Doch das will nicht immer etwas heißen; die Männer und die Dame von der Insel hatten in der ersten Runde dem in der Setzliste knapp vor den Berlinern rangierenden polnischen Team von Chess Association Plock immerhin zwei Brettpunkte abgenommen. Da der englische Mannschaftskapitän, Christopher Dunworth, eine Mannschaftsmeldung abgegeben hatte, in der die besseren Spieler nicht vorne gelistet sind, musste die voraussichtliche Aufstellung von den Neuköllner "erahnt" werden. Man lag fast richtig, dass das Team wahrscheinlich in der gleichen Besetzung wie am Vortag spielen würde. Ein Stunde am Laptop und ein Wasserballmatch im Hotelpool mussten ohnehin ausreichen, nachdem vom Frühstücktisch Kontakt mit Mittelsmann Otto Borik aufgenommen wurde. Der Chefredakteur von "Schachmagazin 64" logiert im Crete Marine Hotel und wirft beim morgendlichen Spaziergang einen Blick auf die Paarungstabellen.

 

Schachfreunde Neukölln: Rainer Polzin

Rainer Polzin  

 
   Nachdem erst kurz vor Rundenbeginn die Tischzuweisung begann, konnte es mit etwas Verspätung losgehen. Alle in der Neuköllner Stammformation knieten sich unverdrossen in die Stellungen und schon bald zeichneten sich Positionsvorteile ab. Hendrik Rudolf schlug daraus zuerst Kapital. Gegen die Philidor-Verteidigung des erstmals spielenden John Trevelyan überführte er den Königsspringer bald nach f5. Auch die restlichen Figuren standen harmonischer - insbesondere die Läufer entfalten Druck von a2 nach f7 und auf g5 mit einer Fesselung des Springers f6. Um diese loszuwerden wählte der Ersatzmann von Monmouth allerdings ein Entlastungsmanöver, bei dem er durch ein Schach auf f7 Haus und Hof verloren hätte. Ein früher Punkt nach knapp zwei Stunden war gesichert und Lars Thiede stand am Nachbarbrett bereits deutlich besser. Die 19-jährige Melanie Buckley blieb ihren Eröffnungssystemen treu. Am Vormittag hatte die Datenbank ausgespuckt, dass sie in der Modernen Verteidigung ein Fianchetto mit g3 und einen harmlosen Aufbau mit d3 bevorzugt. Die Idee mittels c5 in einen geschlossenen Sizilianer überzugehen fasste Lars bereits um die Mittagszeit. Die Implementation gelang modellhaft: Raumvorteil am Damenflügel, Einbruchsfelder für die Leichtfiguren und ein stellungstypischer Bauerngewinn verdichteten sich zu Drohungen gegen den weißen König und die Dame. Da half auch die Gegenaktion des vorgerückten Bauern über f4-f5-g6-f7 nichts mehr. Eine kurze Kalkulation und der schwarze König verschanzte sich auf f8, derweil eine doppelte Drohung existent blieb. Angriff auf die weiße Dame auf g5 und Mattdrohung auf g2 durch den schwarzen Turm auf g3 waren nicht mehr zu parieren. Mit einem 2:0-Vorsprung schaute man gelassen der ersten Zeitkontrolle entgegen. An Brett zwei konterte Rainer Polzin angespannt die taktischen Drohungen des zweiten Buckley im Team, Melanies Bruder Simon. Dieser hatte in der Drachenvariante den Standardaufmarsch mit b5 initiiert, die Qualität geopfert und allerlei Ideen entlang der schwarzfeldrigen Diagonalen. Mit einigen Königsmanövern wehrte sich der Neuköllner gegen Mattabsichten und ließ nach der Zeitkontrolle einfach seine Bauernmehrheit am Damenflügel abmarschieren. Fast zeitgleich sicherte Martin Borriss effektiv und unspektakulär in einer geschlossenen Stellung gegen den Trompowski von Dunworth den vierten Punkt.

Schachfreunde Neukölln: Martin Borriss

Martin Borriss 

 
   Nun lag es an Stephan Berndt und Dirk Poldauf, ihren Beitrag zum ersten 6:0-Ergebnis des gesamten Turniers zu leisten. Der Journalist von "Schach" hatte zwischenzeitlich bereits ein Remis abgelehnt. Wie am Vortag war ein Turmendspiel auf den Brett. Die abendliche Tavernen-Analyse offenbarte zwar eine Reihe von Remiswegen, doch der dritte der Buckley-Geschwister investierte nicht ausreichend Zeit und Zähigkeit in die Verteidigung. Beeindruckt von Dirks Vorwärtsdrang mit eindringendem Turm und König suchte David sein Heil in einer unmittelbaren Gegenaktion am Königsflügel. Dort standen aber g- und h-Bauern zu weit hinten. Die mächtigen Pendants auf b7 und d7 schüttelten selbst den kiebitzenden Wassili Iwantschuk - die Aufgabe folgte prompt.

 

Schachfreunde Neukölln: Stephan Berndt

Stephan Berndt 

 
   Damit lastete auf Stephan Berndt die Ehre, das Optimum zu komplettieren. Er hatte zwar im Mittelspiel einen Bauern eingesackt, doch beide Spieler trachteten danach, dem anderen König an den Kragen zu gehen. In beiderseitiger Zeitnotphase versammelten sich das Publikum am Brett. Auch der Berichterstatter als Mannschaftskapitän fand einen Platz auf einem Stuhl einen halben Meter vom Brett entfernt - gebannt verfolgten er seitlich hinter seinem Spieler das taktische Geschehen. Eigentlich kein Anlass zum Einschreiten, doch diesmal legte der griechische Schiedsrichter sein Amt überkorrekt aus. Wo sonst erfreulicherweise deutlich und konsequent auf überlautes Getuschel in den engen Gängen des Konferenzsaals reagiert wird, galt es nun einen neuen Störfaktor zu eliminieren. Mit Händewinken und Abdrängen wurde klargemacht, dass vermeintlich ein Verstoß geplant sein könnte. Zwar gibt es keine Regel dafür, aber es besteht die Möglichkeit, dass der Berliner Kapitän seinem IM ein wenig Hilfe offerieren will. Zu intensives Starren auf den erfahrenen Amerikaner James T. Sherwin ist in Zeitnot geeignet, einen Nachteil für den Mann zu bringen, der bereits in den 50er und 60er Jahren gegen Bobby Fischer spielte. Eine ungewöhnlich fürsorgliche Prävention der ansonsten immer präsenten Schiedsrichter.

   Gar nicht anwesend war während der Spielrunde die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Angekündigte Bulletins gab es nicht, Mannschafts- und Paarungslisten konnten nicht ausgedruckt werden, weil keine Tintenpatrone vorhanden war, ein Internetanschluss funktioniert nur sporadisch für Minuten - der besten Dank gebührt hier dem isländischen Kollegen, der wieder und wieder die Einwahl versucht hat! Kurzum - Arbeitsbedingungen, die wenig geeignet sind, im Online-Zeitalter einen adäquaten Informationsdienst zu gewährleisten. Aber es kann an dieser Stelle noch besser werden - die Griechen sind ja für ihre Gastfreundschaft und Improvisationskunst geschätzt.

   Ach ja, Stephan Berndt hat gewonnen - auch ohne Röntgen-Blicke seines Mannschaftskapitäns. Sein Gegner bewies sogar ein feines Gespür für Selbstironie. Da nach der Zeitkontrolle ein Matt nur durch großen Materialverlust abzuwenden war. Zog er seinen König so hin, dass ein ästhetisches Mattbild aufgelegt werden konnte. Die Berliner feierten ein perfektes Score bei ihrem ersten Sieg auf europäischer Ebene - inklusive eines frühen Abmarschs zum Feiern.

   Andere Zwischenstände und Entergebnisse waren beispielsweise die 3:2-Führung von Werder Bremen gegen ASA Tel Aviv, wobei noch Rainer Knaak ein Turmendspiel mit Minusbauern verteidigte. Sven Joachim sorgte mit seinem zweiten Sieg bisher für den einigen Gewinn im Match. Titelverteidiger Bosna Sarajevo gewann erneut 5,5:0,5 und wieder war es der unglücklich spielende Kiril Georgiev, der einen halben Punkt abgab. Die russischen Teams punkteten ebenfalls: Norilsky Nikel bezwang Alkaloid aus Mazedonien mit 4,5:1,5 und Gazovik errang einen 3,5:2,5-Erfolg über ULIM Moldava. St. Petersburg lag ebenfalls bereits klar in Front gegen Plock. Das ukrainische Team von Donbass erzielte ungefährdet ein 4:2 gegen Boavista. Polonia Warschau erreichte das Minimalziel, ein 3,5:2,5, wobei der einheimische Bartlomiej Macieja den Punkt machte, während die andern Großmeister mit fünf Remis absicherten.

   Die richtigen Top-Duelle stehen noch aus. Dann müssen alle vorsichtig sein, ihren Gegner in Zeitnot zu intensiv anzuschauen. Auf Kreta hat man dafür einen scharfen Blick!

 










Sherwin,J (2359) - Stephan,B (2479) [A16]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.Sf3 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.Da4+ Ld7 6.Dh4 Lc6 7.Sxd5 Dxd5 8.e3 Sd7 9.Le2 Lg7 10.0-0 e5 11.d3 0-0 12.e4 Dd6 13.Td1 Tae8 14.Ld2 b6 15.Tac1 Lb5 16.b4 La4 17.Te1 c5 18.bxc5 Sxc5 19.Lb4 Tc8 20.Tc3 a5 21.La3 b5 22.Tcc1 b4 23.Lb2 Se6 24.Lf1 Txc1 25.Txc1 Te8 26.Dg3 Sf4 27.Sd2 Lb5 28.Sc4 Lxc4 29.Txc4 Td8 30.h4 h5 31.Tc1 Lh6 32.Tc4 Lg7 33.Tc1 a4 34.Tc4 a3 35.Lc1 Sxd3 36.Lg5 Td7 37.Tc8+ Kh7 38.Df3 Sf4 39.Lxf4 exf4 40.Lc4 Dd1+ 41.Kh2 Dc1 42.La6 Db1 43.Lc4 Dc1 44.La6 Db2 45.Lc4 Td2 46.Lxf7 Txf2 47.Dh3 f3 48.Lxg6+ Kh6 49.Kg3 Le5# 0-1

 
 










Polzin,R (2469) - Buckley,S (2268) [B78]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 g6 6.Le3 Lg7 7.f3 0-0 8.Lc4 Sc6 9.Dd2 Ld7 10.0-0-0 Se5 11.Lb3 b5 12.Scxb5 Db8 13.Sc3 a5 14.a4 Tc8 15.Sdb5 Sc4 16.Lxc4 Txc4 17.b3 Tb4 18.Dd3 Dc8 19.Ld4 Tb8 20.e5 Lf5 21.Dd2 Txd4 22.Sxd4 dxe5 23.Sxf5 Dxf5 24.The1 e4 25.Sxe4 Sxe4 26.Txe4 Dc5 27.Td4 Da3+ 28.Kb1 Lf6 29.Dc1 Dc5 30.Td8+ Txd8 31.Txd8+ Kg7 32.Td3 De5 33.c3 Dxh2 34.Dc2 h5 35.Td1 De5 36.Td3 h4 37.Ka2 De1 38.Td2 Df1 39.Dd3 Dc1 40.Tc2 Df4 41.De4 Dd6 42.b4 axb4 43.Dxb4 Dd3 44.Kb2 h3 45.gxh3 Dxf3 46.a5 Df1 47.Db6 e5 48.Tf2 1-0

 
 










Dunworth,C (2289) - Dr-Borriss,M (2445) [A45]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.d4 Sf6 2.Lg5 Se4 3.Lf4 c5 4.f3 Da5+ 5.c3 Sf6 6.d5 Db6 7.Lc1 e6 8.c4 Db4+ 9.Sc3 Dxc4 10.e4 Db4 11.Ld2 Db6 12.Lc4 d6 13.Sge2 e5 14.f4 Sbd7 15.0-0 a6 16.Sg3 Dd8 17.a4 g6 18.Ta3 Lh6 19.f5 Lxd2 20.Dxd2 Tg8 21.fxg6 fxg6 22.Sd1 Tf8 23.Taf3 Sg8 24.h3 Txf3 25.Txf3 Sdf6 26.Sc3 Ld7 27.Df2 Kf7 28.Sh1 Kg7 29.g4 h6 30.Df1 Db6 31.b3 Tf8 32.Sf2 Dd8 33.Sfd1 Da5 34.Se3 Sh7 35.Txf8 Sxf8 36.Dd3 Sh7 37.Kg2 Sgf6 38.Kg3 Dxc3 0-1

 
 










Poldauf,D (2403) - Buckley,D (2172) [A36]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.c4 g6 2.Sc3 Lg7 3.g3 c5 4.Lg2 Sc6 5.a3 b6 6.Tb1 Lb7 7.d3 d6 8.e4 e6 9.Sge2 Sge7 10.0-0 Dd7 11.Le3 Sd4 12.b4 0-0 13.Dd2 f5 14.Lh6 Sec6 15.Lxg7 Dxg7 16.b5 Sxe2+ 17.Sxe2 Sd4 18.Sxd4 Dxd4 19.exf5 Lxg2 20.Kxg2 exf5 21.De3 De5 22.Tfe1 Tae8 23.Te2 Dxe3 24.Txe3 Te5 25.a4 Td8 26.Tbe1 Kf7 27.Kf3 Txe3+ 28.fxe3 d5 29.cxd5 Txd5 30.Ke2 Ke6 31.a5 Td7 32.Ta1 Kd5 33.Ta4 Tc7 34.axb6 axb6 35.Ta6 Tb7 36.Kd2 c4 37.d4 g5 38.Ta8 Ke4 39.Te8+ Kf3 40.Te5 Kg4 41.Kc3 Tc7 42.Te6 Kf3 43.Txb6 Kxe3 44.Te6+ Kf3 45.b6 Tf7 46.Kxc4 f4 47.d5 fxg3 48.hxg3 Kxg3 49.d6 g4 50.Te7 Tf8 51.d7 Td8 52.b7 1-0

 
 










Buckley,M (2118) - Thiede,L (2410) [B26]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.e4 g6 2.Sc3 Lg7 3.g3 d6 4.Lg2 c5 5.d3 Sc6 6.Le3 Tb8 7.Dd2 b5 8.Sge2 b4 9.Sd1 a5 10.0-0 La6 11.f4 Db6 12.f5 a4 13.Sf4 a3 14.Tb1 axb2 15.Sxb2 Sf6 16.Sd5 Sxd5 17.exd5 Se5 18.h3 Lb5 19.Tf4 Da6 20.Sc4 Lxc4 21.dxc4 Dxa2 22.Te1 Sxc4 23.De2 Sxe3 24.Dxe3 Le5 25.Te4 Db2 26.Dg5 b3 27.cxb3 Txb3 28.fxg6 Txg3 29.gxf7+ Kf8 0-1

 
 










Rudolf,H (2328) - Trevelyan,J (2145) [C41]
ECC 2001 Retyhmno, Crete (2.18), 24.09.2001

 

1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 Sd7 4.Sc3 Sgf6 5.Lc4 Le7 6.0-0 0-0 7.Te1 c6 8.a4 Dc7 9.La2 b6 10.h3 a6 11.Sh4 Te8 12.Sf5 Lf8 13.Lg5 Lb7 14.dxe5 dxe5 15.Df3 Le7 16.Dg3 Sh5 17.Dh4 Lxg5 18.Dxh5 1-0

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