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Europas Schachclubs vereint unter der Sonne Kretas

Sibirisches Team von Norilsky Nikel erobert souverän die kontinentale Krone

von Harald Fietz, Oktober 2001

Europacup Kreta 2001

 

Einleitung

   Schach ist ein Einzelsport und doch bleibt der Verein und die Mannschaft der Ort, mit dem sich die meisten Schachfreunde identifizieren. Die europäischen Schachföderationen haben unterschiedliche Modi, um die nationale Spitze zu ermitteln. Die deutsche Bundesliga wird von Oktober bis Mai gespielt, andere Länder - wie Russland, Polen, Griechenland oder Spanien - bevorzugen eine zentrale Runde, zumeist in den Sommermonaten, und einige kleinere Staaten richten keine nationale Liga aus. Was im Fußball die Champions League ist im Schach die Europäische Vereinspokalmeisterschaft, die in der 17. Austragung vom 23. bis 29. September in Panormo, einem kleinen Ort in der Nähe von Rethymnon auf Kreta, ausgetragen wurde. Ausrichter war der Schachclub AO Kydon aus Chania, der zweitgrößten Stadt der Insel, wo ursprünglich gespielt werden sollte. Während des Sommers wurden aber die erst im Mai fertiggestellte Hotelanlage Crete Marine und Crete Panorama als Spielort - 60 Kilometer westlich von Heraklion - ausgewählt.

   Teilnehmen durften neben dem Titelverteidiger, zwei Teams aus Ländern, die eine nationale Mannschaftsmeisterschaft durchführen, ein Team, wenn die Föderation keine eigene Liga hat (z.B. Wales), und drei Teams, wenn in dem betreffenden Land in der höchsten Liga mindestens 20 Großmeister spielen oder 20 Spieler mit einer Elo über 2600 (z.B. Russland, Deutschland, Israel und Island). Von 39 vorangemeldeten Mannschaften erschien selbige Zahl. Allerdings ergaben sich kleinere Veränderungen: Die Kroaten aus Zagreb und die Serben aus Novosadski reisten nicht an; dafür traten die Belgier aus Antwerpen und die Schachabteilung des portugiesischen Fußballvereins Boavista Futebol Club aus Porto an. Deutschland war ebenfalls mit einem Kicker-Club, dem SV Werder Bremen, vertreten. Die Schachfreunde Neukölln nahmen als zweite Mannschaft eine der drei deutschen Optionen in Anspruch. Die großen Drei aus der stärksten Liga der Welt haben mutmaßlich ihre Beweggründe, dem Wettstreit mit der europäischen Vereinselite fern zu bleiben. Schmollen wegen des früher zeitraubenden Formats mit Vor- und Finalrunden, Nichteinsatz von ausländischen Stars, die auch anderswo spielen und u. U. einem anderen Verein den Vorzug geben, und geringe Vermarktung der Veranstaltung im eigenen Sponsoreninteresse (z.B. via Internet) sind einzelne Beweggründe, doch könnte im Sinne der Außendarstellung der höchsten deutschen Liga angeführt werden, dass ein internationaler Wettbewerb im zusammenwachsenden Europa einen zunehmenden Stellenwert besitzt. Allerdings standen die deutschen Spitzenmannschaften diesmal nicht allein. Eine Reihe von Ländern mit starken Ligen (Spanien, Frankreich, Niederlande und Großbritannien) blieben auch fern.

   Der hohen Güte der Veranstaltung tat das keinen Abbruch. Mit 39 Mannschaften wurde ebenso ein neuer Teilnahmerekord aufgestellt, wie mit der Zahl der Titelträger: 101 Großmeister, 65 Internationale Meister, 33 Fide-Meister, zwei Frauengroßmeisterinnen und eine Internationale Meisterin der Damen stellten sich zur "Europäischen Olympiade für Vereinsmannschaften". Fünf Teams ragten nach Wertungszahlen deutlich heraus: In der Setzliste mit einem Durchschnitt von über 2600 Elo verzeichnet waren Titelverteidiger Bosna Sarajevo (2657), die drei russischen Teams von St. Petersburg (2639), Gazovik (2632), Norilsky Nikel (2629) und Polonia Warschau (2626). Werder Bremen rangierte mit 2533 Eloschnitt auf Platz zehn und die Schachfreunde Neukölln befanden sich mit 2422 auf Platz 21 oben in der zweiten Hälfte der Setzliste.

   Während die Hansestädter mit ihrem stärksten Team anreisten, fand sich bei den Berlinern eine Mannschaft ohne Legionäre zusammen. Paritätisch mit drei "Ossis" und drei "Wessis" besetzt ging es vorrangig darum, Spielpraxis für den nationalen Wettbewerb zu sammeln. Die Hauptstädter lagen damit voll im Trend. Nur ein Fünftel der Mannschaften stellte drei oder mehr Spieler anderer Nationalitäten auf. Werder Bremen zählte mit den beiden Tschechen, Zbynek Hracek und Vlastimil Babula, dem Dänen Lars Schandorff und dem Schweizer Yannik Pelletier an den vier Spitzenbrettern zu jener Kategorie. Komplettiert wurde die Mannschaft durch Rainer Knaak, Sven Joachim und Gerlef Meins.

 

Groß gegen Klein

   Für den Auftakt ergab sich daher aus deutscher Sicht eine einfache Gleichung: Die Hansestädter galten gegen den Schachclub Reykjavik als Favorit, die Hauptstädter fühlten sich als Außenseiter gegen St. Petersburg wohl. Der Verlauf der ersten Runde im Schweizer System ist wohlbekannt: Der motivierte Underdog wehrt sich nach Kräften, das stärker besetzte Team versucht den Turnierrhythmus zu finden. Die Schachsektion von der Weser präsentierte sich zum Turnierstart in den Vereinsfarben: Alle Mann erschienen in schwarzen Polo-Shirts, auf dem das Vereinswappen und der Name des Hauptsponsors OSC ragte. Dieser ist derzeit nicht einmal auf der Brust der balltretenden Vereinsangestellten präsent. Als einzige weitere Mannschaft stach nur noch das lettische Team aus Riga durch leuchtend blaue T-Shirts des Transport- und Telekommunikationsinstituts TSI aus der Masse von 234 Spielern. Später zeigte auch der zweite polnische Vertreter aus Plock Kollektivgeist und beugte sich in farblich grau-rot abgestimmten Polo-Shirts und Base-Caps des Sponsors Orlen über die Bretter. Ob der uniforme Look den Teamspirit fördert lässt sich nicht rückschließen. Die Norddeutschen erledigten den ersten Durchlauf jedenfalls routiniert: Vorne mit vier Unentschieden dicht halten und hinten zwei volle Zähler einfahren. Die beiden Mathematik-Studenten Joachim (studiert noch) und Meins (hat sein Diplom und arbeitet bei einer Versicherung) waren für letzteres zuständig.

 

Martin Borriss

Die Schachfreunde Neukölln undercover (v.l.n.r.):
Martin Borriss, Rainer Polzin, Lars Thiede, Henrik Rudolf

 

   Ungleich schwerer war das Los für die bereits voll akklimatisierten Neuköllner. Ein Großteil des Teams verband Vorbereitung und Turnier mit Urlaub und sonnte sich bei 30 Grad, während in Deutschland ein Regentief dem nächsten folgte. Die Berliner Zeitung und die deutsche Ausgabe der Financial Times fanden diesen Umstand trefflich, Storys mit dem Tenor Laptop im Liegestuhl zu lancieren. Ein Report über den neusten Feinschliff im 28. Zug der grünfeldindischen Verteidigung interessiert die Öffentlichkeit eben weniger, da muss schon gezeigt werden, wie das Schöne mit dem Nützlichen verbunden werden kann. Solche Publicity benötigt man im schachbegeisterten Russland natürlich nicht. Zwar trat der amtierende russische Mannschaftsmeister St. Petersburg noch ohne den wegen Visa-Problemen später angereisten ehemaligen Fide-Weltmeister Alexander Khalifman an, doch mit Peter Swidler ergab sich am Topbrett kein Abbruch. Dieser schien allerdings reisegeplagt etwas schlapp zu sein, denn nach 21 Zügen willigte er gegen Stephan Berndt in das Remis ein. Mit durchschnittlich fast zweihundert Ratingpunkten mehr im Team war er sich zu Recht gewiss, dass es seine Mannschaftskollegen schon richten. Die Berliner hätten allerdings ein besseres Resultat als 1:5 verdient gehabt, obwohl noch vor der ersten Zeitkontrolle an Brett sechs Sergei Ivanov Henrik Rudolf die Aufbaufehler in einer königsindischen Verteidigung nachwies und Viktor Kortschnoi am dritten Brett taktisch gegen Martin Borriss zum Erfolg kam.

 

Martin Borriss

Martin Borriss

 










Borriss,M (2445) - Kortschnoi,V (2617) [C11]
ECC Panormo, 2001

 

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 a6 8.Dd2 cxd4 9.Sxd4 Lc5 10.0-0-0 0-0 11.h4 Sxd4 12.Lxd4 b5 13.Th3 Lb7 14.g4 b4 15.Se2 a5 16.g5 Db6 17.Kb1 La6 18.Te3 Tfc8 19.Lg2 Lxe2 20.Txe2 a4 21.f5 b3 22.cxb3 axb3 23.a3 Lxd4 24.Dxd4 Tc5 25.h5 Tac8 26.Dd3 Tc2 27.g6 Dc5 28.gxf7+ Kf8 29.Dxb3 Txe2 30.fxe6 Sxe5 31.Lxd5 Dc2+ 32.Ka2 Dxb3+ 33.Lxb3 Tb8 34.Td5 Sc4 0-1

Die drei übrigen Duelle sind bezeichnend für viele "enge" Begegnungen bei diesem Championat.


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