Europas Schachclubs vereint unter der Sonne KretasSibirisches Team von Norilsky Nikel erobert souverän die kontinentale Kronevon Harald Fietz, Fotos Otto Borik, Oktober 2001 |
Ein Topfavorit hat sich selbst aus dem Tritt gebracht. Der Titelverteidiger wurde bereits zur Halbzeit entzaubert. Eine Angelegenheit in Runde vier, die mit Smirins Blackout gegen Grischuk begann. Danach trumpfte Norilsky Nikel gnadenlos auf: Vorne 3:0 dank Dolmatow gegen Drejew und Rublewski gegen Kiril Georgiew. Hinten hielten Swjaginzew, Malakhow und Rustemow den Laden zusammen - Endstand 4,5:1,5. Komplett den Anschluss verlor Bosna in der Vorschlussrunde, als man 2:4 gegen Donbass unterlag. Ivan Sokolov und Zdenko Kozul verloren diesmal. Es fehlte einfach die Durchschlagskraft - gerade in entscheidenden Momenten. Spieler wie Georgiew und Kozul ließen zudem gegen nominell schwächere Gegner mehr als üblich halbe Punkte liegen, was nicht gerade aufbauend für die "big matches" wirkte.
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Sieger Norilski Nikel mit Kapitän Sergei Smagin, Alexander Gritschuk, Sergei Rublewski, Wladimir Malachow (verdeckt), Sergei Dolmatow (verdeckt), Vadim Swjaginszew. Igor Glek und Alexander Rustemow
Der Zweitplatzierte Polonia Warschau
war kein echter Rivale und wurde von Norilsky Nikel bereits in Runde drei
ebenfalls klar mit 4,5:1,5 bezwungen. Dabei war die Dramaturgie anders, obgleich
bereits da Grischuk mit seinem Ruck-Zuck-Stil gegen Barejew vorlegte. Diesmal
holen Rustemow und Igor Glek an den beiden hinteren Bretten die weiteren
vollen Punkte. Warschau machte anschließend mit vier Erfolgen en suite
den Weg auf das Silberpodest. Auch die beiden österreichischen Vertreter
- jeweils mit drei deutschen Akteuren - kamen beim polnischen Durchmarsch
unter die Räder. Schlimm erwischte es dabei Thomas Luther auf Seiten
von Merkur Graz.
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Rozentalis,E (2588) - Luther,T (2604) [C07]
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Eigentlich stellte nur St. Petersburg einen ernsthaften Prüfstein für die Männer aus Sibirien dar. Mit dem Drittplatzierten Gazovik, wie die Nikel-Truppe aus dem kältesten Teil des russischen Reichs, der Stadt Tjumen, kreuzte man gar nicht die Klingen, weil dieser zwischenzeitlich gegen Kiseljak einen Punkt ließ und knapp gegen St. Petersburg unterlag. Donbass kam dem neuen Meister erst in die Quere als man nur noch ein 3:3 brauchte.
Die Mission, die aus dem Nichts begann, war problemlos aufgegangen. In der ganz von der metallurgischen Produktion abhängigen 300.000-Einwohner-Stadt wollten die Manager von Norilsky Nikel ihrem Standort ein positives Image geben. Man entsann sich, dass der schon lange in Moskau lebenden - auch in Deutschland bestens bekannte - Großmeister Sergei Smagin ein Sohn der Stadt ist. Mit reichlich Finanzen und zwei, drei Jahren Frist für entsprechende Erfolge ausgestattet, konnte er für seine Heimatstadt am Reißbrett sein Dream Team zusammenbasteln. Die Vizemeisterschaft bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft im Mai 2001 diente als Sprungbrett zum ganz großen Coup - Angriff auf Europas Thron und zugleich noch Abhängen der russischen Metropole von der Ostsee. Norilsky Nikel gewann, weil es die richtige Mischung aus hungrigen Draufgängern (Grischuk, Rublewski, Swjaginzew) und soliden Arbeitern (Dolmatow, Malakhow, Rustemow und Glek) besaß. Außer dem kampflosen Schlussakkord gegen Donbass beherrschten sie die Konkurrenz nach Belieben. St. Petersburg profitierte bei der 2,5:3,5-Niederlage sogar vom laxen Spiel Grischuks, aber Rublewski zeigte auch in diesem nationalen Prestigeduell seine große Klasse in Mannschaftswettbewerben und erlaubte insgesamt bis zur siebten Runde nur zwei Remis aus sechs Begegnungen. Vor einigen Jahren merkte Sergei Smagin, der sich heuer als Kapitän und Not-Reservespieler selbst zum Wasserflaschenschleppen nicht zu schade war, in einen Interview mit dem Fernseh-Sender ARTE an, das was den westlichen Meistern zum großen Sprung an die Spitze fehle, sei die Härte. Diese war eben unabdingbar, wollte man sich in der sowjetischen Schachschule mit ihrer intensiven Schachlehrmethodik und systematischen Auswahlprinzipien durchsetzen. Die Kunst bestand im postkommunistischen Zeitalter darin, die so geschulten Spieler um die anders sozialisierten - überwiegend am Computer ausgebildeten - Profis zu gruppieren. Diese Mannschaftschemie herzustellen gelang mit Bravour.
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Werder Bremens Spitzenbretter 3 bis 1 (v.l.): Lars Schandorff, Vlastimil Babula und Zbynek Hracek
Wenig Grund zum Jubeln hatten die
deutschen Farben. Beide Vertreter begannen hoffnungsvoll, bauten aber zum
Ende ab. Werder Bremen rückte nach vier Runden mit 7:1 Mannschaftspunkten
auf Platz vier, bevor mit 1,5:4,5 gegen Norilsky Nikel und 1:5 gegen Kiseljak
der Absturz begann. In der Schlussrunde reichte ein 3:3 gegen Boavista, bei
dem alle Partien kurioserweise mit Weißsiegen ausgekämpft wurden,
nur zu Platz 18 mit 8:6 Mannschaftspunkten und 19,5 Brettpunkten. Diese sammelten
Hracek (2,5/7), Babula (3,5/7), Schandorff (2/6), Pelletier (3/6), Knaak
(1,5/5), Joachim (5,5/7) und Meins (1,5/4). Die Neuköllner durchlebten
eine ähnliche Talfahrt. Nach fünf Runden hatte man sich mit 6:4
Mannschaftspunkten auf Platz 13 geschoben und mit dem vermeintlich
schwächeren weißrussischen Vertreter von Vesnianka, Platz 31 der
Setzliste, eine Aufgabe, die zum Sprung unter die Top Ten reichen konnte.
Doch es wurde ein schwarzer Freitag. Mit 2,5:3,5 zerstoben die Träume
des Teams und von Stephan Berndt, der aus den beiden Schlussrunden noch einen
Zähler für die GM-Norm gebraucht hätte. Auch zum Abschluss
war das Paarungsglück den Berlinern nicht hold. Die ebenfalls nicht
zufriedenen Kreta-Griechen von Kydon Chania schaukelten einen 4:2-Erfolg
heim. Über die mit Platz 25 bei 6:8 Mannschaftspunkten und 23 Brettpunkten
verpassten Chancen sinnierten danach Berndt (3,5/7), Polzin (3/7), Borriss
(3/7), Poldauf (4/7), Thiede (6/7) und Rudolf (3,5/7).
Auch unter den deutschen Legionären gab es gemischte Gefühlslagen, da Resultate teilweise gegen einen niedrigen Ratingschnitt zustande kamen: Bei Merkur Graz agierten Thomas Luther (3,5/7), Stefan Kindermann (4/7) und Henrik Teske (5/7) bzw. bei SK Hohenems Jörg Hickl (3/6), Jan Gustafsson (2,5/6) und Michael Bezold (2,5/6). Erfolgreicher schaute es bei Thomas Pähtz (4/6) bei Schnitt von 2518 im Luxemburger Team von Gambit Bonnevoie und Norbert Coenen (3/7) bei Schnitt von 2507 für die Belgier von Rochade Eupen aus. Otto Borik repräsentierte neben seiner journalistischen Arbeit seine Heimatstadt Prag und erzielte 1,5/3.
1. |
Norilsky Nikel |
(Russland) | 13 |
: | 1 | 29,5 | |
2. |
Polonia Warschau |
(Polen) | 12 |
: | 2 | 26,5 | |
3. |
Gazovik Tjumen |
(Russland) | 11 |
: | 3 | 27,0 | |
4. |
Dank Donbass |
(Ukraine) | 11 |
: | 3 | 25,0 | |
5. |
Bosna Sarajevo |
(Bosnien) | 10 |
: | 4 | 29,5 | |
6. |
St. Petersburg |
(Russland) | 10 |
: | 4 | 25,0 | |
7. |
Kiseljak |
(Bosnien) | 9 |
: | 5 | 26,5 | |
8. |
Beer Sheva |
(Isreal) | 9 |
: | 5 | 26,0 | |
9. |
ASA Tel Aviv |
(Israel) | 9 |
: | 5 | 22,5 | |
10. |
Hellir CC |
(Island) | 8 |
: | 6 | 26,0 | |
11. |
Merkur Graz |
(Österreich) | 8 |
: | 6 | 25,0 | |
12. |
CC Reykjavik |
(Island) | 8 |
: | 6 | 24,5 | |
13. |
Boavista Futebol |
(Portugal) | 8 |
: | 6 | 22,0 | |
14. |
SK Rockaden |
(Schweden) | 8 |
: | 6 | 22,0 | |
15. |
Alkaloid Skopje |
(Mazedonien) | 8 |
: | 6 | 21,5 | |
16. |
CC Plock |
(Polen) | 8 |
: | 6 | 20,5 | |
17. |
Kydon Chania |
(Griechenland) | 8 |
: | 6 | 20,0 | |
18. |
Werder Bremen |
(Deutschland) | 8 |
: | 6 | 19,5 | |
19. |
Vesnianka |
(Weißrussland) | 8 |
: | 6 | 18,5 | |
20. |
Helsinge Skakkclub |
Dänemark) | 7 |
: | 7 | 25,0 | |
21. |
Csuti Anatal SK |
(Ungarn) | 7 |
: | 7 | 23,0 | |
22. |
ULIM Moldova |
Moldawien) | 7 |
: | 7 | 22,0 | |
23. |
Kisela Voda Skopje |
(Mazedonien) | 7 |
: | 7 | 22,0 | |
24. |
TSI Riga |
(Lettland) | 7 |
: | 7 | 21,0 | |
25. |
Schachfr. Neukölln |
(Deutschland) | 6 |
: | 8 | 23,0 | |
26. |
Herzlia CC |
(Israel) | 6 |
: | 8 | 20,0 | |
27. |
Nove Zamky |
(Slowakei) | 6 |
: | 8 | 20,0 | |
28. |
Asker SK |
(Norwegen) | 6 |
: | 8 | 19,5 | |
29. |
SK Hohenems |
(Österreich) | 6 |
: | 8 | 19,0 | |
30. |
Monmouth CC |
(Wales) | 5 |
: | 9 | 16,5 | # |
31. |
Holdia DP Prag |
(Tschechien) | 5 |
: | 9 | 15,5 | # |
32. |
Gambit Bonnevoie |
(Luxemburg) | 5 |
: | 9 | 13,0 | # |
33. |
Antwerpen OSK |
(Belgien) | 4 |
: | 10 | 17,0 | # |
34. |
Slovan Bratislava |
(Slowakei) | 4 |
: | 10 | 16,0 | |
35. |
Joensuu CC |
(Finnland) | 4 |
: | 10 | 16,0 | |
36. |
Rochade Eupen |
(Belgien) | 4 |
: | 10 | 14,0 | |
37. |
Randaberg SK |
(Norwegen) | 4 |
: | 10 | 12,5 | # |
38. |
Dublin CC |
(Irland) | 4 |
: | 10 | 12,0 | # |
39. |
Bray CC |
(Irland) | 2 |
: | 12 | 15,0 | # |
# Wegen der ungeraden Anzahl an Teams bekam die spielfreie Mannschaft 2 MP und 3 BP.