Europas Schachclubs vereint unter der Sonne KretasSibirisches Team von Norilsky Nikel erobert souverän die kontinentale Kronevon Harald Fietz, Oktober 2001 |
Drei Faktoren machten den Unterschied aus - egal ob Favorit gegen Außenseiter oder ob gleiche Spielstärke aufeinander trafen:
1. Faktor Zeit: Dank der Fischer-Uhr wird bei jedem Zug ein Bonus von 30 Sekunden hinzuaddiert - Zeitüberschreitungen werden unwahrscheinlicher, der Blutdruck der Spieler und der Zuschauer bleibt allerdings gleich hoch. Die Spieler neigen dazu, die Zeit bis auf 10-15 Sekunden - manchmal weniger - anlaufen zu lassen, um dann eine zusätzliche halbe Minute Galgenfrist zu erhalten. Dieses Dilemma ereilte Rainer Polzin am zweiten Brett gegen Konstantin Sakajew, ein Elo-Schwergewicht mit 2630. Dieser hatte die königsindische Eröffnung nachlässig behandelt und den Aufzug mit b5 nicht verhindern können. Nun drohte der Bauer e4 unter Beschuss zu geraten. Mit 32... f6 wurde die letzte Vorbereitung getroffen. Aber in Zeitnot passierten zwei entscheidende Fehler: Die Variantenberechung richtete sich unmittelbar auf die Schwachstelle und im 40. Zug wurde der obligatorische "aktive" Zug mit Schach gespielt.
Nach der ersten Zeitkontrolle erhielt man 50 Minuten plus 30 Sekunden für die nächsten 20 Züge. Typischerweise "erholt" sich der gerade der Zeitüberschreitung entronnene Spieler bei den nächsten drei, vier Zügen und bilanziert. Doch die nächste Zeitknappheit zog schnell auf und bereits im 45. Zug passierte das nächste Unglück, ebenso wie kurz vor der zweiten Kontrolle. Mittels eines trickreichen Bauernhebel zog der Russe dann unmittelbar die Schlinge um den König zu. Zwar konnte ein Matt durch Damentausch verhindert werden, doch mit der restlichen Materialkonstellation war es nicht zu schwer, die Partie zu drehen.
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Konstantin Sakajew
Viele Partien, die gut angelegt waren, glitten den wertungsschwächeren Spielern so durch die Hände. Hinzu kommt bisweilen - mit und ohne Zeitnot - ein weiteres wichtiges Schachelement: die praktische Anwendung von erlernten Methoden.
2. Faktor Schachwissen: An Brett vier ärgerte sich Dirk Poldauf gewaltig, als er eine einfache Wendung in einem der elementarsten Turmendspiele übersah, als er bereits einen der beiden verbliebenen f- und h-Bauern erobert hatte. Spöttelnd kommentierten die neugierig kiebitzenden St. Petersburger Spieler: "Das üben wir bereits in Pionierpalast." Die Schachöffentlichkeit wurde sogleich über Kasparows Internetseite informiert. Häme ist allerdings fehl am Platz. Dem Schachjournalisten unterlief halt ein Fehler. Das kommt vor, auch bei dem St. Petersburger Spötter, der kürzlich ähnlich eine Partie verdarb. Wer im Glashaus sitzt, der ...
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Pigusow,J (2613) - Poldauf,D (2403) [E68]
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Es zeigt sich, dass im letzten Jahrzehnt - nach Abschaffung der Hängepartie - die Notwenigkeit des Endspieltrainings erheblich zugenommen hat, diese bei den Nicht-Profis jedoch häufig zugunsten der Eröffnungstheorie vernachlässigt wird. Berufsspieler sind besser ausgebildet und erzielen gerade nach dem 60. Zug entscheidende Punkt, wenn die Bedenkzeit gnadenlos auf 10 Minuten plus 30 Sekunden für jeden Zug reduziert wird. In dieser Phase ist aus Sicht des schwächeren Spielers Gegenhalten angesagt, besonders nach wechselhaftem Verlauf.
3. Faktor Zähigkeit: In dieser Beziehung konnte der letzte Neuköllner eine gute Basis für sein weiteres Turnier legen. Nach der Eröffnung gelang es ihm zwar, den schwarzen König in die Mitte zu zerren, doch der Sieger des prestigeträchtigen russischen Pokalturniers 2000 fand ideenreiche Abtauschressourcen, um die Gefahr zu bannen und selbst die weißen Bauerninseln unter Angriff zu nehmen. Jetzt galt es für Lars Thiede, das richtige Konterspiel zu finden - ein Turmendspiel mit Minusbauern wurde in Balance gehalten.
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Lars Thiede
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Thiede,L (2410) - Volkow,S (2578) [A11]
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Ingesamt muss festgehalten werden, dass die Spieler den 30 Sekunden Bonus durchweg zu schätzen wissen, es allerdings noch einige Zeit dauern wird, bis der Umgang mit der geringeren Ausgangsbedenkzeit verinnerlicht ist. Um qualitativ gute Partien zu spielen stellen die angewendete Zeitkontingente sicher die unterste Grenze dar. Und im vollklimatisierten - in den ersten beiden Runde arg beengten - Spielsaal wurde überreichlich Hochwertiges produziert. Ab Runde drei sogar mit Bewegungsfreiheit, nachdem die fünf hinteren Begegnungen in den ursprünglichen Analyseraum verlegt wurden. Die Nachbetrachtungen fanden nun auf der Veranda mit Meerblick statt: Glückliches Kreta mit Ambiente und reichlich Spielern der Extraklasse.