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Kindermann/Lobron (4000) - Gutman/Jussupow (4000) [C31]
Beratungspartie, Frankfurt, 12.09.1999
[H. Metz]

Frankfurt Chess Classic 1999

 

   Vor Beginn der Partie noch eine Anmerkung zu einem äußerst schweren Programmfehler von Chessbase 7.0: Wie sich soeben herauskristallisierte, kann weder die ELO-Zahl von 5067 der weißen Kombination KL (nicht zu verwechseln mit Karl Lagerfeld) eingegeben werden noch jene der schwarzen (5107). Großzügig rundet das Programm auf jeweils 4000 ab. Wenn das Garri erfährt, dass man ihm den läppischen Zugewinn von 1149 ELO-Punkten nicht bis zur Veröffentlichung der nächsten Chessbase-Programmversion zutraut. Oh, ich wollte dann nicht in Hamburg sein ... Oder ist das Programm doch ausgefuchster, als das schlichte schreibende Gemüt ahnt? Meint es aus der Erfahrung früherer Beratungspartien, dass das Niveau von zwei Grossmeistern mit 2527 (K) und 2540 (L) sowie 2636 (J) und 2471 (G) nicht mehr als 2000 im Durchschnitt ergibt? Hatten schließlich nicht diese Blaublütigen von und zu gegen Morphy in der Pariser Oper eine dermaßen auf die Adelsmütze bekommen? Glaubt Chessbase 7.0 nicht, dass Rossinis "Barbier von Sevilla" den Herzog von Braunschweig und Graf Isouard zu stark ablenkten (so die offizielle Ausrede für das Debakel, die der Herzog´sche Pressesprecher verbreitete. Oder war es doch der Mundschenk? Oder der Hofnarr? Oder doch gar keiner? Ein wenig tiefer finden Sie jedenfalls die Partie, eingebettet in die Kommentare.

 










1.e4 Wird häufig gespielt, verdient aber eigentlich ein Fragezeichen, denn die Gruppe des Autors namens Körnlein (Vater, Mutter und Sohn prägten sie) hatte geschworen, der psychologisch geschulte Positionsschieber K würde sich gegen L durchsetzen und 1.d4 spielen. Doch die Gruppe Körnlein hatte die Rechnung ohne Wirt L gemacht. 1...e5 Was sonst? Doch der erste Punkt hing am seidenen Faden. Aller Argumentation zum Trotz, dass J ein exzellenter Kenner des Russisch (Buchautor!) und G allemal gegen ein Schottisch (Buchautor!) gewappnet sei, weshalb nur e5 als Antwort in Frage komme, einigten sich G&J (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen großen Verlag) auf c5! Doch K, offenbar noch verhärmt, dass seine psychologische Schulung nicht bei Kompagnon L fruchtete, wollte sich beweisen. Listig raunte er G&J zu, wie er später berichtete, auf e5 verspreche er Königsgambit! Welcher Selbstmörder kann dazu schon Nein sagen? 2.f4!! Aus zweierlei Gründen verdient der Zug zwei Rufzeichen: Erstens ist er schlicht der beste. Zweitens hatte sich der Autor M vor der Partie noch mit K ausgetauscht, der berichtete, dass er nach 20 Jahren wieder zu seiner alten Liebe zurückgekehrt sei. Wohlgemerkt der am Brett, dem Königsgambit. Na, welche Gruppe erhielt wohl als Einzige einen Punkt? Und das, obwohl Morphys berühmteste Partie den Herren Großmeistern auch bekannt sein dürfte: [2.Sf3 d6 3.d4 Lg4 4.dxe5 Lxf3 5.Dxf3 dxe5 6.Lc4 Sf6 7.Db3 De7 8.Sc3 c6 9.Lg5 b5 10.Sxb5 cxb5 11.Lxb5+ Sbd7 12.0-0-0 Td8 13.Txd7 Txd7 14.Td1 De6 15.Lxd7+ Sxd7 16.Db8+ Sxb8 17.Td8# ] 2...d5 3.exd5 c6?? Diesmal aus zweierlei Gründen schlecht, ja verwerflich: Der Zug taugt nichts (siehe Anmerkung zur weißen Fortsetzung) - und wer denkt schon, dass Großmeister anstatt des Falkbeer-Gambits das Nimzowitsch-Gegengambit wählen? "Ich wollte das nicht", gestand G später ein, doch J wucherte mit seinen 165 ELO-Pfunden mehr und setzte sich durch mit seiner darauf basierenden Argumentation: "Wir spielen das jetzt!" 4.Sc3? Eine offensichtliche Panne. Weil M (nicht Morphy, sondern Autor Metz) K nicht mehr rechtzeitig infiltrieren konnte. Just als M anhob, die Vorzüge des nach ihm benannten Metz-Angriffs zu lobpreisen und K Schlimmes schwante, er werde möglicherweise im Stile der Protagonisten des Winckelmann-Reimer-Gambits voll gesülzt, erlöste ihn der Partiestart. Pech für den Leser, dass er diese Chance nicht hat. Daher die angenehme Hauptvariante des M-Angriffs: [4.De2!? cxd5 5.fxe5 Sc6 6.Sf3! Thomas Johansson schreibt dazu in seinem Buch "Das Königsgambit für den erfindungsreichen Spieler" (Ha, der meint mich, M!): Die Metz´sche Verbesserung im Vergleich zur Partie Aljechin - Johner, Karlsbad 1911, die folgendermaßen weiterging: (6.c3?! d4 7.Sf3 Sge7 8.d3 Sg6 9.De4 Lc5 10.Sbd2 0-0 11.Sb3 f5 0:1/28.") 6...Lg4 7.Df2! Lxf3 8.Dxf3 Sxe5 9.Lb5+ Sc6 10.0-0 Sf6 11.d4+/= Mehr Varianten werden dem wacker bis hierher ausharrenden Leser erspart. Es sei nur noch erwähnt, dass die vor Königsgambit-Experten strotzende Gruppe Körnlein nach dem erneuten Missgriff gegenüber den fünf Widersachern zurücklag.] 4...cxd5 5.fxe5 d4 6.Lb5+ K fand diesen "interessanten Zug im guten Königsgambit-Buch von Neil McDonald". Die Theorie kennt [6.Se4 .] 6...Ld7 7.Lxd7+ Sxd7 "Im Sinne einer Show-Partie wäre Dxd7 besser gewesen", meinte G - doch wieder ließ J seine Finger über dem Läufer kreisen und schnappte dann mit dem Springer zu. Wie dramatisch wäre die Beratungspartie erst geworden, wenn sie noch mehr "Show" als die äußerst spannende gebracht hätte? K, L, G&J, M und wie sie alle heißen, werden es nie erfahren. 8.Se4 Sxe5 9.Sf3 Dd5 10.0-0!! In jeglicher Beziehung ein prächtiger Zug. Als einziger der Ratenden (im wahrsten Sinne des Wortes) hatte der Frankfurt-Westler Michael Tischendorf diesen glänzenden Einfall. Und gottlob gehörte T zur Gruppe Körnlein! Mit einer Serie von sieben Treffern in Folge (also quasi einem doppelten Hattrick plus einem Tor) setzte sich die Gruppe Körnlein an die Spitze. Aufgeregt sprang Klein-Körnlein von Wertungstafel zu Wertungstafel, um jedes Mal erfolgreich zu vermelden: "Wir führen!" Er träumte von dem Training mit Anand, T&M verdoppelten ihre Kräfte, um nachher nicht anstatt in strahlende in enttäuschte Kinderaugen blicken zu müssen. 10...Sc6 11.d3?! L und G hielten dies im Nachhinein für einen Tempoverlust und plädierten für sofort [11.c4 . Der Gruppe Körnlein war´s so lieber. Es gab einen Punkt!] 11...0-0-0 12.Lf4 f5 Einziger Trost hierbei: Auch die Gruppe Niebling hatte ihn nicht vorausgesehen. Mittlerweile entpuppte sich nämlich diese als hartnäckigste, während alle anderen Teams mehr oder minder um mehrere Punkte abgeschüttelt waren. Das Gesagte gilt auch für die nächsten zwei Züge. 13.c4! Dd7 [13...dxc3 14.Sxc3 Dxd3 15.Da4 Lc5+ 16.Kh1 Sf6 führt zu unklarem Spiel.] 14.Sg3?! [14.Sed2 bevorzugte K danach wegen eines leichten Vorteils. "Auf g3 steht der Springer nicht so gut. Von d2 aus kann er später über f3 besser ins Geschehen eingreifen, argumentierte er. Klein-Körnlein war es wiederum gänzlich "wurscht", Hauptsache er war einen Punkt näher am Training mit Anand dran.] 14...Sf6 15.h3 g6 16.b4! Die energischste Vorgehensweise erriet mal wieder keiner. Das Nehmen des vorwitzigen Bauern wäre gefährlich. 16...Ld6 17.Lxd6 "Die sollten jetzt endlich remisieren!", kamen überraschend Rufe aus der Gruppe Körnlein (+1 gegenüber Niebling). 17...Dxd6 Das war ausnahmsweise wirklich leicht und ertragreich für alle Gruppen. 18.b5! L befand sich in seinem Element und spielte munter taktisch vor sich hin. 18...Se5 19.c5 Es war widerlich anzusehen, wie ehrgeizig die Gruppe Niebling um jeden Punkt kämpfte. Konnte sie sich von den Zählern her nicht zu dem abgeschlagenen Quartett gesellen, dessen Anstrengungen nachließen? Wieder verteidigten die letzten drei Züge nur den hauchdünnen Vorsprung der tapferen Gruppe Körnlein. 19...Dd5 Und nun auch noch das! Die Nieblings zogen gleich, weil unsereins erst ein Zwischenschach auf f3 prognostiziert hatte. Klein-Körnlein wurde unruhig. 20.Da4! Ja, den hatten wir - und leiteten doch damit unser Verderben ein ... 20...Sxf3+ Scheußlicher Zug. 21.gxf3 Scheußlicher Zug. 21...De5!? Scheußlicher Zug. Währenddessen hatte die Gruppe Körnlein zweimal auf den Königszug b8 gesetzt, während die Nieblings emsig punkteten und in Führung gingen. Scheußlich, scheußlich, scheußlich. Es tröstete wenig, dass G später eingestand: "Mir war das zu gefährlich. Wir hätten besser den König nach b8 gespielt." Aber J habe umgehend "aktives Gegenspiel" einleiten wollen. Nie war es ärgerlicher, dass Amateure in ihrem Verteidigungsinstinkt die stärkeren Züge finden ... 22.f4 [22.Sh1! Eine Anregung von J, die sicher alle Rateteams hätte aufächzen lassen. 22...Kb8 23.b6 (23.c6!? ) 23...a6 24.c6~~ ] 22...De3+ 23.Kh2 [23.Kg2?? Sh5-+ ] 23...Dd2+ 24.Kh1 Dxd3 25.Dxa7! Die Rettung, nur deswegen das Ausrufezeichen: Die Gruppe Körnlein schloss zum Erzrivalen auf. 25...Dxg3 26.c6 Dxh3+ 27.Kg1 Dg3+ Mit Remisofferte. Fritz von Chessbase - Sie erinnern sich an die Firma mit der Datenbank, die den schlimmen ELO-Patzer beinhaltet, der Garri auf die Palme treibt? - hätte kühl bis ans nicht vorhandene Herz weitergespielt: [27...Kc7 28.Dxb7+ Kd6 und wähnt sich deutlich auf der Siegerstraße. Die Recken bogen stattdessen lieber auf den Remispfad ein, denn der Duft der gebratenen Büffel (vielleicht waren es aber auch die geschossenen Böcke?) machte sich im Wigwam breit. Selbst die auf dem Kriegspfad befindlichen Stämme Körnlein und Niebling begruben das Kriegsbeil und rauchten die Friedenspfeife, nachdem Häuptling Großer Organisator weise verkündet hatte: "Beide Stämme dürfen in die ewigen Trainingsgründe von Manitou Anand." ] 1/2-1/2

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