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Analogien zwischen König Fußball und dem königlichen Spiel

Interview mit dem neuen Frankfurter Fußballhelden Felix Magath

von Hartmut Metz

Frankfurt Chess Classic 2000


   Felix Magath hat sich in einer halben Bundesliga-Saison enorme Popularität in Frankfurt erarbeitet: Aus dem Abstiegskandidaten Eintracht, der acht Punkte Rückstand auf den rettenden 15. Tabellenplatz aufwies, formte er ein schlagkräftiges Team. In der Rückrunde sammelte der 46-Jährige mit seinen Fußballern 30 Zähler und avancierte zum Retter der Hessen. Bereits als Spieler feierte Magath große Erfolge: zweifacher Vizeweltmeister, Europameister 1980, mit dem Hamburger SV Europapokalsieger der Pokalsieger und der Landesmeister - 1983 beim 1:0 über Juventus Turin erzielte der 43fache Nationalspieler das entscheidende Tor - sowie dreifacher deutscher Meister lauten die Höhepunkte seiner Karriere. Die vielen Erfolge führt der Bundesliga-Trainer unter anderem auch auf Lehren zurück, die der Schachspieler aus seinem Hobby zog.

   Bei der Auslosung der Paarungen für die Frankfurt Chess Classic (FCC) half der Hobby-Schachspieler gerne. Magath trug eine Beratungspartie aus (siehe unten). Zusammen mit dem Wiesbadener Großmeister Eric Lobron trotzte er der deutschen Nummer eins, Artur Jussupow (Solingen), und FCC-Organisator Hans-Walter Schmitt. Nach 26 Zügen einigten sich beide Seiten auf ein Remis, weil der Bauernvorteil von Magath und Lobron nicht zu verwerten war. "Schach ist der zweitschönste Sport nach Fußball", erklärte der Frankfurter, der jedem seiner Kicker empfiehlt, "unbedingt Schach zu spielen, um besser die Strategie des Fußballs zu verstehen." Als Jussupow und Schmitt einen unbeweglichen Bauern aufs Brett bekamen, kommentierte der Analogien zwischen den beiden Sportarten schätzende Magath: "Unbewegliche Spieler sind immer schlecht!"

   Der 46-Jährige zeigte sich von der Veranstaltung mit den Top Ten so angetan ("Ich bin begeistert, was hier auf die Beine gestellt wird!"), dass er spontan nach der Auslosung beim SC Frankfurt-West als Mitglied eintrat. Schmitt könnte sich dafür im Gegenzug vorstellen, den vakanten Managerposten bei Eintracht Frankfurt zu übernehmen. Der hochrangige Manager bei Fujitsu Siemens sieht in der Bankenstadt ähnliches Potenzial für den Fußball-Bundesligisten wie mit den Frankfurt Chess Classic, die durch Schmitt binnen sieben Jahren zum Topevent mit einem Etat von rund 850.000 Mark wuchsen. Die erste Pressekonferenz war dank Magath ein großer Erfolg. "Ich bin stolz, in solch einem Rahmen mit an einem Tisch sitzen zu dürfen", zeigte der Star Bescheidenheit statt Allüren. Als kleinen Dank für sein wertvolles Engagement für die FCC erhielt Magath ein Schachprogramm Fritz und das Turnierbuch über die FCC 1999. Nachstehend die Beratungspartie, bei der jede geschlagene weiße Figur den Teilnehmern im Fujitsu Siemens Giants eine Startziffer zuordnete. Bei entfernten schwarzen Figuren erhielt jeder Teilnehmer des Frankfurt Chess Masters eine Nummer.

 

Magath/Lobron - Jussupow/Schmitt
[C42] Russisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 Lb4 4.Lb5 Lxc3 5.dxc3 0-0 6.0-0 Sxe4 7.Sxe5 d6 8.Sf3 Sc6 9.Te1 Lf5 10.Lxc6 bxc6 11.Sd4 Dd7 12.f3 Sc5 13.Le3 Tfe8 14.Dd2 Lg6 15.Te2 Se6 16.Tae1 Sxd4 17.cxd4 f6 18.Lf2 Txe2 19.Txe2 Te8 20.Txe8+ Dxe8 21.c4 d5 22.c5 Db8 23.Lg3 a6 24.b3 Db5 25.Lxc7 Dd3 26.Dxd3 Lxd3 Remis.

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Über die ungewöhnliche Verbindung von "König Fußball" und dem "königlichen Spiel" unterhielt sich Hartmut Metz mit Felix Magath.

Metz: Herr Magath, Ihr Spieler Jan-Age Fjörtoft sagte über Sie: "Ich weiß nicht, ob er die Titanic gerettet hätte. Aber die Überlebenden wären topfit gewesen." Schadet es nicht Ihrem Ruf als "harter Hund", Schach zu spielen?

Magath: Wenn man im Sport an der Spitze stehen will, muss man sich den ganzen Tag damit beschäftigen. So ist es im Fußball und ich kann mir nicht vorstellen, dass es die Spitzenspieler im Schach anders machen. Dieses "harter Hund" bezieht sich bei mir nur darauf, dass ich den Spielern vermitteln will, dass sie alles für ihren Sport tun müssen, Opfer bringen müssen und sich mit ihrem Sport identifizieren müssen. Darum geht es mir.

Metz: Früher wurden Sie in die Schablone des technisch versierten Mittelfeld-Regisseurs gepresst, jetzt das Gegenteil. Ärgert Sie Ihr Spitzname "Quälix"?

Magath: Ich lebe schon lange genug damit. Man hat mich bereits als Spieler falsch beurteilt und macht es jetzt auch wieder verkehrt. Wenn einer irgendwo an der Spitze sein will, muss er mehr machen als Andere. Nur Talent alleine reicht nicht aus, um auf der Welt vorne zu stehen, egal in welchem Sport.

Metz: Wie kamen Sie denn zum Schach?

Magath: Ich wusste schon vorher, was ein Turm oder Läufer ist, aber tiefer in die Materie drang ich erst 1978 ein. Ich war an Hepatitis erkrankt und lag im Bett. In dieser Zeit verfolgte ich mit großem Interesse den Weltmeisterschaftskampf zwischen Kortschnoi und Karpow auf den Philippinen und besorgte mir auch Literatur. Als ich wieder gesund war, trat ich in den Schachklub ein, den Hamburger SK. Das Problem bestand allerdings in den Spieltagen Dienstag und Freitag. Letzterer war wegen der Vorbereitung oder einem Trainingslager für das Spiel am Samstag ungünstig. Außerdem war dienstags bei uns Konditionstag, das hieß zweimaliges hartes Training. Danach musste ich ohne etwas zu essen in den Schachklub, wo es nur Schokolade gab. Mit der Zeit war mir das ohne richtige Ernährung zu viel und zu hektisch, deshalb ließ ich es wieder nach einigen Wochen und blieb passives Mitglied. Ich kaufte mir jedoch einige Schachbücher und verpflichtete Herrn Jacoby für Unterricht.

Metz: Gisbert Jacoby ist der Miteigentümer des in der Schach-Software weltweit führenden Hamburger Unternehmens Chessbase.

Magath: Genau der. Der trainierte damals das Team des Hamburger SK.

Metz: Was fasziniert Sie am Schach?

Magath: Es ist ein unheimlich schönes Spiel. Mich fasziniert, wie bei guten Spielern irgendwann ersichtlich wird, dass sich die Figuren in einem Angriff bündeln, der unwiderstehlich ist. Bei mir klappt das leider nur manchmal. Das Spiel finde ich faszinierend, weil es ohne Zufälle auskommt. Dadurch lernte ich, dass man auch das Fußballspiel so begreifen kann. Alles hat seinen Grund, jede Aktion eine Begründung. Ich habe praktisch aus dem Schach die Theorie für den Fußball abgeleitet.

Metz: Was zum Beispiel?

Magath: Dass man mit jedem Zug etwas drohen muss. Wenn ich den Ball in Richtung eigenes Tor zurückpasse, drohe ich wenig, sondern verliere ein Tempo. Diese verlorene Zeit kostet im Schach wie im Fußball Raum. Eine gute Mannschaft nutzt das einfach aus. Ich würde gerne solche Analogien öfters aufgreifen, da aber nicht so viele Fußballer Schach spielen, ist dieses Mittel nur beschränkt einsetzbar. Ich empfehle aber jedem Profi, sich ein bisschen für Schach zu interessieren, weil es ihm auch in seinem Beruf hilft.

Metz: Die Kombination Fußball und Schach ist in der Tat selten. Hingegen gibt es viele Tischtennisspieler, die zudem dem königlichen Spiel frönen. Das liegt vermutlich daran, dass es in beiden Sportarten nichts auf die Knochen gibt. Kennen Sie außer dem Bremer Marco Bode, der in der Jugend ein exzellenter Schachspieler war, andere Fußball-Profis mit Hang zu diesem Denksport?

Magath: Es sind relativ wenige. Mit meinem Zimmerkollegen Olaf Thon spielte ich öfters während der WM 1986 in Mexiko. Unser Hamburger Trainer Branko Zebec hatte als Jugoslawe eine größere Affinität dazu. Der spielte sehr, sehr gut und führte mich ständig vor.

Metz: Die genannten Kicker sind keine beinharten Verteidiger, eher feine Techniker.

Magath: Ich glaube, wer sich mit Strategien im Fußball beschäftigt, kommt eher zum Schach.

Metz: Sie neigen jedoch nicht dazu, Ihre Mittelfeldspieler wie früher, passend zum Schach, Läufer zu nennen?

Magath: Nein, nein. Mein Einsatz der Analogien wird zuweilen übertrieben dargestellt.

Metz: Welche Spielstärke besitzen Sie auf den 64 Feldern?

Magath: Ich bin nicht sehr stark. Ich benutzte Schach für mich als Ausgleichssport, als ich Fußballspieler war und geistigen Ausgleich brauchte. Das war für mich ideal, während ich dies nach meiner aktiven Zeit einschränkte. Ich finde das Spiel toll, aber ich habe inzwischen nicht mehr den Nerv und die Geduld, mich damit zu beschäftigen, weil ich viel zu viele andere Probleme habe. Jetzt benötige ich mehr körperliche Betätigung, laufe oder spiele Fußball als Ausgleich. Wenn man ein Spiel gut spielen will, muss man auch Zeit investieren - und die fehlt mir momentan. Wenn ich nun in Urlaub fahre, nehme ich meinen Schachcomputer mit und spiele wieder. Das ist wunderbar, aber es beschränkt sich eben auf diese Erholungsphase. Während einer Saison habe ich so viele Probleme zu lösen, da besitze ich nicht auch noch die Muse für Schachprobleme.

Metz: Sie haben schon im Simultan gegen Garri Kasparow gespielt. Konnten Sie sich da von Topsportler zu Topsportler austauschen?

Magath: Ich sprach kurz mit ihm. Er interessierte sich als Hobby-Fußballer für meine Belange. Ich gewann den Eindruck, dass er mich aus Sympathie zum Fußballsport nicht ganz so unter Druck gesetzt hat.

Metz: Gewonnen hat er auf Grund seines brennenden Ehrgeizes aber sicher.

Magath: Ja, nach 32 oder 33 Zügen legte ich meinen König um.

Metz: Kasparow gönnt selbst in einem Simultan keinem Amateur eine Freude und spielt im Gegensatz zu anderen Großmeistern jede Partie erbarmungslos auf Sieg.

Magath: Aber sehen Sie: Genau das zeichnet überdurchschnittliche Spieler aus! Das versuche ich meinen Fußballern auch immer beizubringen. Sie müssen jedes Spiel gewinnen wollen. Auch das Trainingsspiel, wenn es um nichts geht. Diesen Ehrgeiz Kasparows kannte ich nicht. Aber das passt ganz genau: Ein Mann wie Kasparow steht eben an der Spitze, weil er sagt, wenn ich spiele, will ich auch gewinnen. Das finde ich toll!

Metz: Der Weltranglistenzweite Anand gilt dagegen als zu freundlich und zahm.

Magath: Genau das wird der Unterschied sein. Allein der Wille entscheidet. Gerade im Schach, bei dem alles logisch ist und die Spielstärke an der Spitze kaum differiert.

Metz: Abschließend zu Ihrem Willen für die nächste Fußball-Saison: In der Rückrunde trimmten Sie die Eintracht zur drittbesten Rückrunden-Mannschaft. Lässt das einen Frankfurter Champions-League-Platz erwarten?

Magath: Nein, natürlich nicht. Die Spieler befanden sich in der Rückrunde fast ständig an ihrer Leistungsgrenze. Das geht nicht über längere Zeiträume. Von daher müssen wir einige neue Spieler verpflichten, um die Mannschaft zu ergänzen. Die enorme mentale Leistung, denke ich, werden wir in den nächsten Saison nicht wiederholen können. Ich hoffe, sie wird nicht ganz so schwierig wie die abgelaufene, aber für uns geht es nur gegen den Abstieg.

Metz: Mancher unkt, Felix Magath macht starke Eröffnungszüge bei seinem neuen Verein, lässt dann im Mittelspiel nach und geht im Endspiel matt. Fürchten Sie in Frankfurt einen ähnlichen Ablauf Ihrer Geschicke?

Magath: Ich habe sicher die Fähigkeit, das habe ich mehrfach gezeigt, aus einer Mannschaft sehr viel herauszuholen. Aber ich kann nicht aus Spielern, die letztlich nicht das Niveau haben - stets übernahm ich Mannschaften, die 18. oder 17. oder 16. waren - über Jahre alles herausholen. Die waren nicht deswegen 18., weil sie die besten Spieler besaßen, sondern weil sie begrenzt waren. Wenn man mir nicht die Möglichkeiten gibt - und so war es beim HSV, bei dem man den Kapitän verkaufte, anstatt in die Mannschaft zu investieren -, dann gelingt nicht jedes Mal ein Kraftakt wie in Hamburg, wie auch in Bremen, wie auch in Nürnberg und jetzt vielleicht auch in Frankfurt. Ja dann kann ich auf Dauer mit den Spielern dieses Niveau nicht halten, das war mir völlig klar. Wenn man mir aber die Möglichkeit gäbe, wie sie zum Beispiel Herr Hitzfeld in Dortmund bekam, als alle deutschen Italien-Legionäre zurückgekauft wurden, dann gelänge mir auch der Erfolg über eine Saison hinaus. Wenn man mir diese Möglichkeit in Frankfurt gibt, bin ich sicher, dass die Eintracht in absehbarer Zeit in der Bundesliga eine gute Rolle spielt.


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