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Ist das noch Theorie?"

Ein unterhaltsamer Simultan-Nachmittag mit Peter Swidler

von Harald Fietz und Robert Miklos

Frankfurt Chess Classic 2000


Peter Swidler

Peter Swidler beim Simultan

   Frankfurt Chess Classic 2000 bedeutet eine Ansammlung der Superstars der Schachszene. Also die goldene Gelegenheit, in den Tagen zwischen den Events einen der Cracks für ein lokales Ereignis anzuheuern. Dies dachte sich auch die Buchhandlung Gutenberg im Zentrum von Darmstadt und engagierte den dreifachen russischen Landesmeister Peter Swidler für ein Open-Air-Simultan vor dem Geschäft am Luisenplatz. Obwohl es neues Terrain für die Inhaberin Gisela Hoffmann-Sigmund bedeutete, wagte die Geschäftsfrau, die zugleich erste Vorsitzende des Einzelhändler-Förderkreises Wilhelminenstrasse ist, erstmals in den Schachsport als Attraktion zu investieren. Und sie wurde - trotz der hochsommerlichen Temperaturen - nicht enttäuscht. 16 Amateure - darunter eine Dame und die Berichterstatter - nahmen an den Brettern unter dem Freiluftzelt Platz, um sich zeigen zu lassen, was die "neue Generation" der russischen Schachschule auf dem Kasten hat.

   Der St. Peterburger Peter Swidler erwies sich dabei nicht nur als ein Könner seiner Materie, sondern auch als Entertainer. Jederzeit einen ketzerischen oder aufmunternden Spruch auf dem Lippen, waren wohl die meisten Spieler über den persönlichen Umgangston in englischer Sprache erstaunt. Respektvoller Beifall am Beginn der Veranstaltung wich bald der gemeinsamen Stimmung, dass sich hier alle Beteiligten versammelt hatten, um - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - einen unterhaltsamen Schachnachmittag zu verbringen. Ein Ambiente, das nicht nur die Schachkenner anzog, sondern auch Vorbeieilende zum Stopp "verleitete". Mancher Passant gab seiner Begleitung oder anderen Zuschauern seine Kenntnisse über das Spiel im Speziellen und das Schauspiel in Allgemeinen preis oder blieb einfach nur fasziniert ob der dargebotenen Vorstellung stehen.

   Für die Vereinsspieler allerdings bot die Begegnung eine seltene Gelegenheit, einen der weltbesten Schachspieler leibhaftig herauszufordern und ihm seine Lieblingsvariante vorzusetzen. Der Großmeister fand dabei die richtige Balance zwischen ernsthaftem Wettbewerb und locker-instruktiver Lehrstunde. Insbesondere Skandinavisch-Fans kamen auf ihre Kosten. Diese Eröffnung spaltet Schachspieler seit eh und je in zwei Lager, und unter der absoluten Weltspitze taucht dieser Eröffnung eher selten auf. Doch Simultanveranstaltungen sind besondere Ereignisse, in denen der Amateur die Chance hat, das Motto der Auseinandersetzung zu bestimmen. Da verwundert es nicht, dass Peter Swidler an einigen Brettern zu Scherzen aufgelegt war. "Ist das noch Theorie?" lautete sein Einwurf, als ihm "seltsame" Züge aufgetischt wurden. Skandinavisch-Fans erwiesen sich bei solch höflichen Nachfragen als besonders renitente "Glaubensbrüder": "Ja, das steht in meiner Skandinavisch-Bibel von Wahls drin." Darauf mimte der russische Großmeister den Empörten: "Das geht aber nicht, gegen einen Großmeister wollte ich hier nicht spielen!" Brauchte er auch nicht, denn fast alle Partien brachten das erwartete Ergebnis. 15:1 lautete das überzeugende Endergebnis zu Gunsten des Weltranglisten-20.

   Nur Christian Schramm vom Schachclub Obernau bei Augsburg (ELO 2330) zeigte als Ratingbester im Feld, wie lebensfähig die Drachenvariante ist. Solcherlei Widerstand verleitete den Russen zum Scherzen. "Es sollte verboten werden, Theoriezüge zu spielen", forderte er kategorisch. Wohlwissend, dass dies für die moderne Schachwelt charakteristisch ist, fügte er wenig später hinzu: "Ich sollte die Eröffnungen zwar besser kennen, aber ich bin ja auch nur ein einfacher Mensch." So haben letztlich alle einige Lehren aus der gelungenen Veranstaltung gezogen - Applaus für den Großmeister zum Abschied.

Ein Erlebnisbericht zum Swidler-Simultan.


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