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1000 Mark für ein bisschen Kasparow lohnten sich

Simultanplatz-Versteigerung im Internet ein großer Erfolg

von Hartmut Metz

Frankfurt Chess Classic 2000


Garri Kasparow

Garri Kasparow beim Simultan

   „Im Leben eines Schachspielers ist es das Größte, einmal gegen den besten Spieler aller Zeiten zu spielen." Diese Ansicht vertraten zahlreiche Hobbyspieler und beteiligten sich an einer Versteigerung von 20 Plätzen in einem Simultan gegen Garri Kasparow. Der 37-jährige Russe gab in Bad Soden eine Vorstellung an 40 Brettern, die Hälfte davon wurde auf der Homepage des SC Frankfurt-West www.frankfurt-west.de versteigert. Das Mindestgebot von 150 Mark für eine Teilnahme an dieser Deutschland-Premiere war rasch übertroffen. In den letzten Stunden kletterten die Spitzenpreise bis auf 1.000 Mark. Ein Geschäftsmann wollte seinen Kunden das einmalige Erlebnis garantieren, weshalb dreimal vierstellige Beträge geboten wurden. Um 23.58 Uhr, kurz vor Toreschluss, traf das letzte Gebot ein - und kam mit 393 Mark gerade noch zum Zuge. Turnierdirektor Michael Tischendorf, der die Internet-Versteigerung leitete, erlebte manch überschwängliches Gefühl: "Die Freude, welche Ihre Mitteilung über meinen Platz im Simultan gegen Kasparow bei mir auslöste, kann ich gar nicht beschreiben", bemerkte ein Spieler nach der Zuteilung.

   Die Freude hielt auch bei den 35 Spielern an, die im Vorfeld des Fujitsu Siemens Giants im Taunus-Tagungszentrum unterlagen. Nach nur 23 Zügen warf Michael Wenzel das Handtuch. "Wenn´s anfängt zu kriseln, muss man aufhören. Einen gewissen Respekt sollte man ihm schon entgegenbringen", erklärte der mit der SVG Schenklengsfeld in die Landesliga aufgestiegene Teilnehmer. "Gelohnt hat es sich auf jeden Fall, einmal gegen den Weltmeister zu spielen", befand Wenzel. Die hierfür überwiesenen 618 Mark reuten ihn nicht wegen der "Einmaligkeit. Manche fahren dafür zwei Wochen nach Mallorca zum Ballermann, jeder setzt eben sein Geld anders eins", sieht er seines besser investiert.

   In jeder Beziehung günstiger zum Zug kam Rene Wendt. Für 416 Mark brachte er den Weltmeister auf die Palme und an den Rand einer Niederlage: "Das Turmendspiel war verloren", bekannte Kasparow, nachdem er kopfschüttelnd ins Remis entwischt war. "40 Bretter zu spielen, ist schwer", sagte der Moskauer und ergänzte aufgebracht, "vor allem wenn solch ein starker Spieler dabei ist. Der gehört nicht in ein Simultan. Bei dem habe ich ja fast eine Stunde verloren. Das ist zu viel, wenn man - so wie ich - keine schnellen Unentschieden macht." Im 39. Zug stellte Kasparow gar seinen Turm, der nach d2 den Verlust eingeleitet hätte, zurück nach g2, um mittels g4 um ein Remis zu kämpfen. "Uns wurde in Russland beigebracht, dass das im Simultan erlaubt ist", erläuterte der Weltranglisten-20. Peter Swidler, dass es sich nicht um einen Fauxpas des Weltmeisters handelte. Wendt nahm es ohnehin nicht gram. "Ich bin auch mit der Punkteteilung zufrieden, nachdem ich in der Eröffnung so schlecht stand. Ich dachte, jetzt siehst du wenigstens einmal, wie eine Stellung ordentlich verwertet wird", erzählte er. Beeindruckt hat den Fide-Meister, der eine Elo von 2332 aufweist, vor allem Kasparows Auftreten. "Wenn er am Brett steht und seine Grimassen schneidet - das ist ein Druck, das glaubt man nicht!" Dem erlag der hessische Schach-Präsident Erich Böhme. Seine aussichtsreiche Stellung mit Mehrbauer verlor der Verbandsobere, als sich der Weltranglistenerste nach rund viereinhalb Stunden nur noch der letzten Partie widmete. Zur Ehrenrettung Kasparows muss man sagen, dass auch er Böhme in dieser Phase aufforderte, zwei sofortige Verlustzüge zurückzunehmen.

   Keinen Druck spürte David Baramidse. Das Toptalent von GW Waltershausen bekam bereits nach 16 Zügen die Punkteteilung von Kasparow angeboten. "Ich überlegte, bis er zurückkam, fand aber keinen Gewinnweg. Deshalb akzeptierte ich", berichtete der Elfjährige, der davon träumt, in die Fußstapfen des Russen zu treten. Keck ergänzte der U14-Jugendmeister, der bei der nationalen Meisterschaft alle neun Partien gewann und bereits eine Deutsche Wertungszahl (DWZ) von 2198 aufweist: "Ich hätte bestimmt nicht verloren." Die drei weiteren der fünf Unentschieden ertrotzten Andreas Gypser (SK Ludwigshafen), Jens Beutel (SV Mainz-Mombach) und Hans-Walter Schmitt. So schnell hatte man den Organisator der Frankfurt Chess Classic noch nie eine Hand ergreifen sehen, als Kasparow das Remis vorschlug! Mit seiner neuesten Eröffnungswaffe, auf alles 1...c6 zu ziehen, erhielt der 48-Jährige zwar eine gedrückte Stellung im Slawisch, verteidigte sich jedoch bis ins Endspiel umsichtig. "Ich habe noch nie gegen den Weltmeister verloren!", jubilierte Schmitt nach seiner auch für ihn persönlich gelungenen Veranstaltung. "Hans-Walter ist ein gefährlicher Simultan-Gegner", wusste Peter Leko, der mit Freundin Sofia Petrosjan - Tochter des armenischen Großmeisters Arschak Petrosjan - und Manager Carsten Hensel (Organisator von Dortmund) zeitweilig das Geschehen verfolgte. Nicht nur dem Ungarn, sondern auch Viswanathan Anand und Wesselin Topalow hatte Schmitt schon halbe Zähler abgetrotzt.

   Jens Beutel ist der beste deutsche Politiker. Zumindest auf den 64 Feldern. Der Mainzer Oberbürgermeister gewann schon zweimal das Schachturnier seiner Zunft in Berlin. Der frühere Oberligasspieler bestritt zwar in den vergangenen fünf Jahren nur fünf Turnierpartien ("Das wird sich jetzt mit meiner Teilnahme am Open in Wiesbaden ändern!"), seine 2078 DWZ bringt er aber immer noch auf die Waage. Zur Erbauung seiner rund 15 Fans ärgerte Beutel den Weltmeister. Unzufrieden wegen seiner Stellung, giftete Kasparow ein paar Bretter weiter: "Sie haben Ihre Partie allein zu spielen!" Der SPD-Politiker hatte sich aber nur, nachdem der Champion weitergeeilt war, bei dem Mainzer ZDF-Vertreter Gerrard Breitbart nach dessen Ergebnis erkundigt. "Das zeigte mir, dass ich nicht schlecht stand", nahm Beutel den Vorwurf gelassen. Die Wogen glätteten sich alsbald wieder, und der 53-Jährige bot ein friedliches Ende an, was Kasparow sofort akzeptierte. "Der Spatz in der Hand war mir lieber als die Taube auf dem Dach", bekannte der Oberbürgermeister zufrieden, da er ohne Vorbereitung auf das Spiel des Jahres auskommen musste. "Meine Frau beschloss gestern, dass wir lieber in den Biergarten gehen", plauderte Beutel aus dem Nähkästchen.

   Einzig ein Spieler war ein bisschen enttäuscht: Wassili Iwantschuk hätte allzu gerne im Simultan gespielt. Der Weltranglistenachte sieht es stets als besondere Herausforderung, sich mit der absoluten Nummer eins zu messen. "Was kostet die Teilnahme? Ich habe 100 Mark dabei, reicht das?", ulkte der Ukrainer, nachdem zwei Akteure kurzfristig ausgefallen waren. Die 100 Mark hätten zumindest für ein Duell mit Wassili Iwantschuk gereicht (wurde nach Redaktionsschluss bei den Frankfurt Chess Classic ausgetragen). Das war ebenfalls im Internet angeboten worden. 70 bis 150 Mark erzielten die 20 Plätze beim erstmaligen Simultan-Gastspiel des 31-Jährigen. Allerdings: Hätte der sympathische, wie manchmal weltfremde Großmeister nicht dann womöglich selbst vergebens mit den anderen 39 Spielern auf den Simultanspieler Iwantschuk gewartet???

Ein Erlebnisbericht zum Kasparow-Simultan.


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