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Ohne Risiko geht nichts

Spannende Masters-Auseinandersetzungen mit Führungswechsel

von Harald Fietz

Frankfurt Chess Classic 2000


   Abwechslung heißt das große Zauberwort der Frankfurt Chess Classic 2000. Nicht nur dass das Publikum einen Potpourri an Wettbewerben höchster Güte zu sehen bekommt, auch die einzelnen Turniere zeichnen sich durch ein spannendes Hin- und Herwogen der Kämpfe aus. Das Masters ist dabei in jeder Hinsicht vorbildlich: Nach der elften von 14 Runden endete nur ein knappes Drittel der Partien unentschieden und der Samstags-Durchgang zeigte, dass jeder jeden schlagen kann. Dies hatte zu Folge, dass sich kaum ein Teilnehmer seiner Platzierung sicher sein kann. Die richtige Dosierung des Risikos ist gefragt, und da hat 'Tricky Mickey' aus England derzeit die beste Mischung gefunden.

   Sein kontrollierter Angriffsstil brachte ihm gestern als Einzigem ein +2-Ergebnis ein - inklusive des 'Big Points' gegen den Tabellenführer Wassili Iwantschuk. In Runde neun setzte sich der Ukrainer hinter die weißen Steine. Beinahe allerdings hätte der oft geistesabwesende Weltranglistenachte den Beginn verpasst, als er im Ruheraum bemerkte, dass auf den Monitoren die Begegnungen neu starteten. Mit etwas Verspätung eilte er auf die Bühne, um den offenen Kampf zu suchen. Ebenso wie Michael Adams ist der Ukrainer ein interessierter Beobachter der Box-Szene und es schien, als ob er mit einem kräftigen Punch eine vorzeitige Turnierentscheidung anstrebe. In einer Schottischen Partie wurden die Kräfte in der Mitte massiert und nach der energischen Postierung des weißen Springers auf f6, des Läufers auf e5 und der Dame auf g5 befand sich der Engländer zunächst in der Defensive. Aber der Konter ist ein Markenzeichen des Weltranglistensiebten. Der Turm auf d6 wurde dem Läufer e5 im Vertrauen auf die Schlagkraft des Läufer g7 angeboten; die ,kurzen' Schläge 22...g5 und 36...h4 zeigten die erhoffte Wirkung und das Turmendspiel konnte der Großmeister aus Lwow in Zeitbedrängnis nicht mehr exakt verteidigen. „Ich spielte zu riskant", bilanzierte der Verlierer, „aber vorher weiß man das ja nicht. Nach diesem Tag wird es schwer, das Turnier zu gewinnen."

   Endgültig wechselte der Führungstab in der anschließenden Runde, als Michael Adams gegen Robert Rabiega routiniert gewann, während Iwantschuk in einer langen grünfeld-indischen Theorievariante keine Gewinnperspektiven gegen Loek van Wely besaß. Auch die letzte Runde am Samstag stand im Zeichen des Spitzenduells. Iwantschuk konnte die solide Verteidigung von Jewgeni Barejew nicht durchbrechen, obwohl dieser nicht gerade großes Vertrauen in seine halboffene Verteidigung zu setzen scheint: „Man leidet immer in der Caro-Kann-Verteidigung gegen Wassili", war sein Kommentar zum Remisausgang. Im Gegensatz zu dieser Punkteteilung nach 24 Zügen brachte das Zusammentreffen zwischen Sergej Rublewski und Michael Adams einen spannungsgeladenen Schlagabtausch. Der russische Schottisch-Experte wich im 14. Zug von der Variante des Spitzenduells ab und baute mit der besseren Bauernstellung darauf, irgendwann ein Springerendspiel zu erreichen. Aber ein voll konzentrierter Adams demonstrierte seine Klasse, indem er mit seinem verbliebenen Turm den weißen König beschäftigte und erst dann ins Springerendspiel überging, als sich gewisse Gewinnchancen eröffneten. Mit jeweils knapp einer Minute auf der Uhr reichte man sich allerdings - am fast völlig abgeräumtem Brett - schiedlich-friedlich die Hände.

   Ein Blick auf die Tabelle offenbart, dass die Positionen für den Finaltag abgesteckt sind. Neben dem Zweikampf an der Spitze machen Barejew und Rublewski wahrscheinlich das dritte Preisgeld unter sich aus. Artur Jussupow und Weselin Topalow sind jenseits von Gut und Böse und van Wely und Rabiega werden sicher versuchen, noch ein paar erfolgreiche Spuren zu hinterlassen. Die beiden Letztgenannten konnten am dritten Turniertag etwas für ihre Reputation tun und sammelten jeweils zwei volle Punkte. Vielleicht hat sich hier das Stehvermögen ausgezahlt, das sie bei nächtlichen Blitzduellen im Dorint-Spielerhotel gestärkt haben. Der dabei knapp führende Deutsche hat nach diesen Schlachten mit dem berüchtigten Internet-Blitzer King Loek darauf bestanden, nunmehr auch mit adeligem Prefix angesprochen zu werden. Wer kann es einem gleiche Ausgangspositionen gewöhnten Schachspieler schon verübeln, wenn er auf Augenhöhe agieren möchte. Künftig also nicht das „von" vor Rabiega vergessen!

   So locker wie die Stimmung um die Spiele herum auch sein mag, so hoch ist bislang die Bereitschaft in attraktives Angriffsspiel zu investieren. Vielleicht liegt das gerade am Schnellschach-Modus, denn jeder, der eine Partie des „Leidens" (van Welys und Barejews häufigste Vokabel auf den Pressekonferenzen) hinter sich hat, erhält unmittelbar danach eine neue Chance auf sein Glück. Die Paarungen der letzten drei Runden versprechen, dass es in diesem Geist weitergeht.

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