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Hinterm Horizont geht´s weiter

Wladimir Kramnik und Peter Leko halten Fritz on Primergy in Schach

von Hartmut Metz

Frankfurt Chess Classic 2000


   Nach dem fulminanten Auftakt mit einem Sieg und drei für die Menschheit schmeichelhaften Unentschieden haben die großmeisterlichen Denkstrategen zurückgeschlagen. Am zweiten Tag glichen sie die Bilanz gegen Fritz on Primergy zum 4:4 aus. Am Donnerstag und Samstag (jeweils 13 Uhr) zeigt sich in den Vergleichen mit Alexej Schirow, ob der Hochleistungsrechner von Fujitsu Siemens in Verbindung mit der Hamburger Software schon ebenbürtig ist mit den fünf Besten hinter Garri Kasparow. Von einem 1,5:0,5 für Schirow über ein 1:1 bis hin zu einem knappen Erfolg für Fritz on Primergy scheint alles möglich im letzten Computer-Match der Frankfurt Chess Classic. Für einen Turniersieg würden aber selbst 6:4 Punkte nicht reichen, da die Ergebnisse der Spieler untereinander im Fujitsu Siemens Giants ebenfalls einfließen. Mindestens einer dürfte ein Gesamtresultat von 6,5:3,5 Punkten schaffen.

 

Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   Vor dem spannenden Wettkampf zwischen Mensch und Maschine hatten die Experten Wladimir Kramnik am wenigsten zugetraut. Schließlich hatte der Herausforderer von Weltmeister Garri Kasparow bis auf eine Blitzpartie in München noch nie öffentlich gegen ein Computer-Programm gespielt. Seine Trainingseinheiten mit Fritz zeitigten allerdings Lerneffekte. Als Fritz on Primergy gierig die Bauern am Damenflügel verspeiste, brach Kramnik dort alle Brücken hinter sich ab und setzte auf einen Königsangriff. Bis das Elektronenhirn merkte, was sich in rund zehn Zügen abspielt, war es zu spät. Der Weltranglistendritte aus Moskau nahm sich die weiße Majestät zur Brust und setzte sich mit 1,5:0,5 durch. "Fritz hat seine Königssicherheit, die auf andere Computer getunt ist (Anm.: wegen der Computer-Weltrangliste), vernachlässigt. Das führt zu Problemen gegen die Menschen", kommentierte Matthias Wüllenweber die Niederlage in der zweiten Partie. Großmeister Thomas Luther, der in Frankfurt die Eröffnungen von Fritz on Primergy auf Vordermann bringt, erklärte: "Ein typisches Computer-Problem. Der Angriff liegt hinter dem Horizont. So verpasste Fritz einen Turmtausch, findet seinen Turm auf b7 toll und frisst ganz gierig erst auf a7 mit dem Läufer. Solche Partien können noch lange passieren. Da hilft auch ein noch schnellerer Rechner nicht, der einen Halbzug tiefer geht. Ein Mensch hätte den Bauern niemals genommen." Sieger Wladimir Kramnik führte aus: "De7 war ein Fehler, danach wurde c5 möglich. Ich musste b7 opfern. Objektiv stand ich schlechter. Ich dachte an einen Königsangriff um den Preis, den gesamten Damenflügel aufzugeben. Die Rochade von Fritz war ein miserabler Zug. Lf3 sah der Computer nicht, das gefiel mir. Normal ist Fritz on Primergy nur sehr schwer zu schlagen. Ungleichfarbige Läufer sind für dieses Unterfangen von Vorteil. Diesmal hatte ich Glück. Lxa7 ist für einen Computer normal, nicht für Menschen. Die wissen, dass sie den Bauern nicht nehmen sollten. Dennoch glaube ich, dass die Lage für Menschen im Schnellschach schon in ein, zwei Jahren hoffnungslos ist. Computer brauchen im Prinzip nur ein gutes Eröffnungsrepertoire, um geschlossene Stellungen zu vermeiden. Im Turnierschach wird es noch ein Weilchen dauern. Ich selbst nutze Fritz in geschlossenen Stellungen nicht zur Analyse. Aber in offenen und im taktischen Bereich ist er ideal dafür."

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand

 

   Das weiß keiner besser als Viswanathan Anand. Der Inder hatte Fritz on Primergy 1998 wie 1999 bezwungen und galt zusammen mit Peter Leko als der Angstgegner von Chessbase. Nach der katastrophalen ersten Partie fügte sich der zweifache Vizeweltmeister in sein Schicksal und strebte als Nachziehender nur ein Remis an. "Ich hatte keinen Grund, mit Schwarz Risiken einzugehen. Natürlich konnte ich hoffen, dass Ähnliches wie bei Kramnik passiert. Die Niederlage geht in Ordnung, da ich gestern sehr schlecht spielte. Ich machte vier, fünf Fehler. Die Maschine hat dagegen immer die gleiche Tagesform und die gleichen Tricks auf Lager. Die Computer werden von Jahr zu Jahr stärker. Man muss Details beachten, zum Beispiel dass Turmendspiele leichter zu behandeln sind als Springerendspiele. Nur wenn man geistig auf der Höhe ist, hat man Chancen, aber nicht so wie ich gestern. Ich spielte wie ein toter Mann. Doch ich will kein schlechter Verlierer sein und nach Ausreden suchen", erklärte Anand.

   Mehr Grund zum Hadern besaß Alexander Morosewitsch. Nachdem im ersten Vergleich Fritz on Primergy an zwei Stellen den Gewinn ausgelassen hatte, wie der 22-Jährige befand, entglitt dem Weltranglistenfünften die zweite Partie. Die hätte er allerdings gewinnen können, um selbst mit 1,5:0,5 zu gewinnen, anstatt in dieser Höhe zu unterliegen. "Zwischendurch wähnte Fritz Morosewitsch mit +1,1 im Vorteil. 22.Tfe1 hätte Weiß deutlichen Vorteil gegeben. Nach 28.Te2 zeigte Fritz on Primergy erstmals Vorteil für sich an. Stattdessen war 28.Th5!? Sxd4 29.Sxd4 Dxd4 30.Lxg6 Df6 31.Ld3 mit etwas besserer weißer Position richtig", gab Matthias Wüllenweber die Analyseergebnisse seines Schützlings preis. Alexander Morosewitsch haderte mit sich. "Nach der Eröffnung hatte ich eine Stellung, die gegen Menschen gewonnen ist. Der Turmtausch im 22. Zug war der erste Fehler. Ich hätte ihn nach e1 ziehen müssen. Günstiger scheint mir auch ein Damentausch auf g5. 28.Th5 wäre eine Möglichkeit gewesen - wenn ich Fritz wäre ... Wenn ich ein Remis gewollt hätte, hätte ich die Stellung mit b4 abgeriegelt. Aber das schien mir Blödsinn, ich strebte die Position mit c4 an und stand auf Gewinn. Eigentlich hätte Fritz on Primergy gestern gewinnen müssen, nicht heute", meinte der Russe und schlug für 2001 vor, "ich fände es besser, gleich beide Partien hintereinander zu spielen. Das ist spannender als auf zwei Tage verteilt."

   "Hinterm Horizont geht´s weiter" singt Udo Lindenberg in einem seiner Hits. Das war nicht nur bei Kramnik, sondern auch bei Peter Leko der Fall. Der Ungar nutzte auf besonders teuflische Art eine Schwäche des Gegners aus und leitete dadurch eine Attacke ein, die zunächst hinter dem meist bei rund acht Zügen liegenden Horizont von Fritz on Primergy blieb. Seine Vorgehensweise, mit der er das Mini-Match mit 1,5:0,5 gewann, erläuterte der 20-Jährige ausführlich: "Ich wartete ab, bis Fritz a5 spielte, dann tauschte ich, um dem Computer den Freibauern auf b4 zu geben. Gegen einen Menschen würde ich nie so spielen, der Computer will aber unbedingt einen gedeckten Freibauern haben. Dieser wäre im Endspiel tödlich. Aber ich sah die Chance, das Endspiel zu vermeiden. Die Stellung war mit meinem großartigen Springer auf d5 völlig unausgeglichen. Fritz versteht in solchen Stellungen nicht, dass seine Türme auf der a- und b-Linie blöd stehen. Als Sc8 kam, hätte ich gegen einen Menschen sofort c5 gezogen, um den Springer nicht ins Spiel kommen zu lassen und zu gewinnen. Aber Fritz holt dann womöglich irgendwann den Bauern ab und ich verliere. Daher wartete ich lieber. Ich hatte Angst, als Fritz Kg8 spielte, dass der König über f8 und e7 wegläuft. Bei knapper Bedenkzeit wäre es schwer geworden, ihm auf dem Damenflügel nachzujagen. Deshalb wandte ich einen psychologischen Trick, so blöd das auch gegen einen Computer klingen mag, an: Ich wusste, dass er nach dem Springertausch nicht widerstehen kann, mit dem b-Bauern vorzumarschieren. Dann ist er auch tatsächlich mit dem König nicht weggelaufen! Den Bauernvorstoß c5 habe ich gar nicht berechnet, ich spielte ihn einfach. Vielleicht wäre es auch zum Matt gekommen, wenn ich gleich Tg6 ziehe." Als Matthias Wüllenweber dies mit dem Programm überprüfte und nur ein Dauerschach feststellte, aber nach vorherigem c5 ein Matt in zwölf Zügen, wertete Peter Leko: "Na gut, dann habe ich prima gespielt! Gott sei Dank!"

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