Am Puls der SchachhistorieEhrengroßmeister Rudolf Teschner frönte sieben Jahrzehnte dem königlichen Spielvon Harald Fietz, März 2002 |
Der Sieg war immer wichtig im Schachleben von Rudolf Teschner. Begonnen hatte alles in Berlin um 1933 mit der Magie eines Figurensets in einem Steglitzer Geschäft. Der Klassiker der Zeit, "Das Schachspiel" von Siegbert Tarrasch, befriedigte zunächst den Drang nach Schachwissen. Es waren die textlichen Erklärungen, die für die ersten Gehversuche nützliche Ratschläge enthielten (z.B. "Türme gehören hinter die Freibauern."). Schon 1938 gewann der 16-Jährige das Vorturnier zur Berliner Meisterschaft. Im Jahr der Reichskristallnacht musste man aber bereits vorsichtig sein, welche Schachlektüre gelesen wurde. Doch der Schachclub in Friedenau hatte einen Schrank, in dem auch die Werke Laskers und anderer jüdischer Autoren aufgeschlossen wurden. Sein Ideale des Kampfes und des Verlangens nach dem Sieg wurden prägend. Für den aufstrebenden Jugendlichen, der zum Entsetzen der betagteren Clubmitglieder im Schachclub Schallopp öfters in kurzen Hosen in den Verein kam, bot daneben die Leichtathletik - insbesondere der Fünfkampf - Gelegenheit, körperliche Fitness für längere Turniere aufzubauen.
Ehrengroßmeister Rudolf Teschner (rechts) neben dem Vorsitzenden der Emanuel-Lasker-Gesellschaft, Paul Werner Wagner, am 19. März 2002 beim Vortrag auf dem monatlichen Lasker-Treffen (Quelle: Andreas Saremba)
Die Zeit nach dem Krieg war eine schwierige, aber auch schöne Phase. Auf Initiative von Hermann Gulweida, dem Vorsitzenden des SK Tempelhof, überzeugte man den De-Gruyter-Verlag, die "Deutsche Schachzeitung" wieder zu beleben. Dies bedeutete über zwei Jahrzehnte "gesunden Stress" bei Turnierteilnahmen, denn es galt, während des Wettbewerbs den Bericht für die nächste Ausgabe zu erledigen. National wurde Teschner 1948 Ost-Zonen-Meister (damals die offizielle Bezeichnung - später ein Schimpfwort) und 1951 gewann er die gesamtdeutsche Meisterschaft in einem Marathon-Turnier mit 21 Runden.
Rudolf Teschner nach dem Gewinn der gesamtdeutschen Meisterschaft (Quelle: Deutsche Schachzeitung, Nr. 3, Dezember, 1951)
International stellten die Schacholympiaden Höhepunkte dar und insbesondere das Turnier von Hastings 1953/54, welches für den West-Berliner rückblickend sein "schönstes Turnier" war. Ein prickelndes Erlebnis in politisch angespannten Zeiten. Anlässlich des Amtsantritts von Elizabeth II rief man das Traditionsturnier zum "Krönungskongress" aus. Der sowjetische Botschafter Malik machte ein besonderes Geschenk - die Teilnahme von David Bronstein und Alexander Tolusch. Lokalmatador Conel Hugh O'Donel Alexander fegte in der Schlussrunde Tolusch in 28 Zügen vom Brett und setzte den punktgleichen Bronstein unter Druck.
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Tolush,A - Alexander,C [A80]
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Dieser hatte gegen Teschner erst zwei, dann einen Bauern weniger und wollte sich mit einem Remisangebot nach der Zeitkontrolle in sein Schicksal fügen. Doch Feigheit entsprach nicht der Kämpfernatur des Deutschen. Bis eine Minute vor Mitternacht tobte der Kampf und das Blatt wendete sich noch zu Gunsten des WM-Herausforderers von 1950. Der englische Sportsmann eilte als erster Gratulant zum gemeinsamen Turniersieg herbei.
Rudolf Teschner bei seinem schönsten Turnier in Hastings 1953/54 (aus Archiv Jürgen Brustkern)
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Bronstein,D - Teschner,R [C77]
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Bronstein war schon in jenen Jahren ein Visionär, der Teschner bereits auf der Olympiade in Moskau 1956 die Zukunft von 30-Minuten-Partien ausmalte. Ein anderer Titan der Zeit, Paul Keres, bestach bei diesem Nationenwettstreit nicht nur auf dem Brett. Obwohl er sechs Jahre älter als Teschner war, gewann er mehrere Tennismatchs gegen den Westdeutschen. In der Metropole des Sowjetreichs war es für einen der führenden Großmeister kein Problem, nebenbei die Ausrichtung des bourgeoisen Sports gewährt zu bekommen. Trotzdem fühlte sich der materiell abgesicherte Este nie völlig heimisch im Vielvölkerstaat.
Geistige Enge kannte Bobby Fischer nicht als Einschränkung; doch die Enttäuschung über das Remis gegen den Außenseiter Teschner beim Interzonenturnier 1962 war offensichtlich. Gegen die geschickten Vereinfachungsmanövern hatte er zum Turnierauftakt nichts parat.
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Teschner,R - Fischer,R [E92]
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"Ich hatte das Glück, gleich in der ersten Runde gegen ihn zu spielen. Da wusste er noch nicht, wie schwach ich war", resümiert der Weißspieler heute süffisant. Der Amerikaner sah das damals ein wenig verbissener: "Du hast mich begaunert." Aber dieser Dämpfer hinderte ihn nicht, aus den restlichen 21 Partien gewaltige 17 Punkte zu holen.
Teschner feierte 1968 mit dem vierten Platz in Bamberg, wo er zusammen mit dem Spanier Roman Toran beim Mitkonkurrenten und Karl-May-Verleger Lothar Schmid wohnte (!), sein bestes internationales Ergebnis und hielt bis 1969, dem Todesjahr seines langjährigen Mitarbeiters Kurt Richter, die Deutsche Schachzeitung auf stetem Niveau. Danach war er bis zum Einstellen der Zeitung 1989 allein in der Berliner Redaktion. Am hochgewachsenen Meister aus Ost-Berlin schätzte der gebürtige Potsdamer die Fähigkeit, mit prägnanten Erklärungen, die "Gedanken dahinter" aufzuspüren. Er verstand es zudem, das humanistische Gut Goethes und Schillers einzuflechten, war im richtigen Leben aber nie abgeneigt, das nächste Wettbüro aufzusuchen, um auf Pferde zu setzen - insbesondere bei Rennen auf der Bahn in seinem Stadtteil Karlshorst.
Der 80-jährige Rudolf Teschner signiert sein Porträt in der Deutschen Schachzeitung von 1951 (Quelle: Andreas Saremba)
Erfolg beschied Teschner auch das Bücherschreiben - insbesondere die 140.000-Auflage der "Schule des Schachs in 40 Stunden". Wenig bekannt ist, dass diese Mischung von elementaren Lehrbeispielen und Einführung in unterschiedliche Schachphilosophien ursprünglich fast ein Jahr lang als Serie in einem Wochenblatt mit dem Namen "Selbst ist der Mann" erschien. Treffender lässt sich das Lebensmotto des rüstigen Altmeisters nicht zusammenfassen. Er schätzt zwar inzwischen gelegentlich den Computerfreund "Fritz", aber bei längeren Partien überkommt ihn gegen das immer frische Elektronenhirn bisweilen die Müdigkeit. Für Abwechslung sorgt da immer noch das Buch aus der Jugend. Den Tarrasch-Klassiker redigiert er gerade neu. Der "Praeceptor Germaniae" hatte die Angewohnheit, Abspiele ohne Zugzahlen zu präsentieren. Hier wird Ende 2002 bei der Edition Olms eine verbesserte Auflage erscheinen. Doch heute wie vor 70 Jahren wird selbst bei intensivstem Studium eine Feststellung gelten, die Rudolf Teschner schon früh in seiner Schachkarriere machte: "Fehler sind fast unvermeidbar im Schach." Wie meinte allerdings der Millionär am Ende von "Manche mögen's heiß" zum als Frau verkleideten Tony Curtis : "Nobody is perfect!"
Anmerkung: Der Jubilar vollendete am 16. Februar sein 80. Lebensjahr und ist ein höchst lebhaft-eloquenter Zeitzeuge. Der Monatstreff der Emanuel-Lasker-Gesellschaft am 19. März 2002 in Berlin-Mitte ermöglichte den seltenen Fall einer Oral-History-Begegnung, die für diese kurze Skizze Details und Nuancen scheinbar längst vergangener Schachjahre barg (weitere Infos unter www.lasker-gesellschaft.de).