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Berliner Bundesliga-Kehraus: Beschaulichkeit mit Kapriolen

SC Kreuzberg nach zwei Siegen auf erfreulichem Mittelfeldplatz. Schachfreunde Neukölln erquälen sich gegen Tabellenletzten überflüssiges Remis im Abstiegskampf

von Harald Fietz, Fotos Archiv Harald Fietz, April 2003

mehr Schachtexte von Harald Fietz

 

   Nach gesundem Menschenverstand stand an den beiden letzten Bundesligarunden der Saison 2002/03 in Berlin nichts mehr auf dem Spiel. Der SC Kreuzberg und TV Tegernsee rangelten um Mittelfeldpositionen. Die Schachfreunde Neukölln waren zu 99% gerettet und der SC Forchheim längst abgestiegen. An den erwarteten Schlussplatzierungen änderten die Spielausgänge wenig, aber die Partien waren voller Schicksalswendungen, die schon bald Randnotizen einer wiederum spannenden Bundesliga-Saison sein werden.

   Im März 2003 wurden die Berliner Schachfans mit Spitzenschach reichlich versorgt. Zwei Bundesligarunden richteten die Schachfreunde Neukölln aus und dazwischen holte der SC Friesen Lichtenberg das Deutsche Mannschaftspokalfinale an die Spree. Und dreimal musste zu anderen Orten gepilgert werden. Die Austragungsstätten offenbarten anschaulich, unter welchen unterschiedlichen Bedingungen sich die mit reichlich Titelträgern antretenden Teams um die Kunst des königlichen Spiels bemühen mussten. Anfang März offerierte die Bremer Landesvertretung in Berlin ein idyllisches Ambiente, dass einer Hauptstadt durch zentrale Lage und gastfreundlichen Service würdig war. Die Pokalendrunde erlebte man in einem gediegenen Konferenzhotel mit kurzen Wegen. Die Bundesligaschlussrunde fand ihre Heimstatt in der geräumigen Aula der Fritz-Karsen-Schule mitten im Neuköllner Kiez. Der frühere Spielort, das Rathaus Neukölln, kam aus Kostengründen nicht in Frage, da die finanziell notorisch klammen Bezirksverwaltungen seit einiger Zeit für ihre Räume satte Raummiete verlangen. Abgewetzte Dielen und knarrende Türen ließen erahnen, dass unzählige Schülergenerationen den miefigen Charme bereits genossen hatten. Manchen Besuchern gefiel es, wie dem früheren Bundesliga-Spieler Hajo Pleese, der hier 1953 eingeschult wurde. Ein anderer Bundesligaspieler, Wolfgang Zbikowski von Lasker Steglitz, unterrichtete einst an dieser Schule. Der Gastfreundlichkeit tat das Ambiente keinen Abbruch. Spieler und Besucher fühlten sich völlig ungestört abseits des Großstadttrubels, denn die Anfahrt führte durch eine beschauliche Reihenhaussiedlung und Holzbänke vor dem Schulgebäude erinnerte an ein Volksfest - inklusive selbstgemachter Bulleten und Kartoffelsalat, frisch-gebackenem Kuchen und leckeren Brötchen. Keiner musste um sein leibliches Wohl besorgt sein und eigentlich hätten es gemütliche Begegnungen werden können. Wurden es aber nicht.

   Obwohl für alle Teams wenig Perspektiven auf Veränderung der Tabellensituationen bestanden, gingen die meisten Spieler nicht zimperlich ans Werk. Die auswärtigen Mannschaften boten nahezu beste Besetzung auf, nur die Berliner Vereine verzichteten auf ihre Spitzenbretter, d.h. Zoltan Almasi und Liviu-Dieter Nisipeanu beim SC Kreuzberg und Sergei Mowsesjan und Dorian Rogozenko bei den Schachfreunden Neukölln. Kreuzberg wollte am Samstag die Pflichtaufgabe Forchheim lösen, Neukölln stand vor der hohen Hürde Tegernsee. Die Männer um Mannschaftsführer Horst Leckner müssen scheinbar jedes Jahr nach Berlin kommen. Letzte Saison gab es ein 5:3 gegen Neukölln, aber das Jahr davor nur zweimal ein 4:4 gegen Neukölln bzw. König Tegel. Auch diesmal war der Kampf offener als ihr 5,5:2,5-Sieg vermuten lässt. Wäre das Resultat umgekehrt gewesen, dann hätte sich auch keiner beschweren dürfen - an fast allen Brettern griffen die Neuköllner ungestüm an.

 

1. Tag

 

SFR Neukölln

-

TV Tegernsee

Slobodjan

0

:

1

Khenkin

Stohl

0

:

1

Sokolov

Berndt

0

:

1

Ribli

Polzin

1

:

0

Bönsch

Borriss

½

:

½

Teske

Poldauf

0

:

1

Hertneck

Thiede

1

:

0

Kachiani-Gersinska

Rudolf

0

:

1

Bromberger

Ein paar ausgewählte Partien mit kurzen Kommentaren

 

   Als um 18.15 Uhr alles gelaufen war, zeichnete sich gegenüber der Gesamtsieg von Kreuzberg ab. Immerhin wurde noch bis 20 Uhr gekämpft. Aber nur der Tscheche Milos Jirovsky holte einen vollen Punkt für die Auswärtigen.

SC Kreuzberg

-

SC Forchheim

Socko

1

:

0

Prusikin

Tischbierek

1

:

0

Jansa

Lau

0

:

1

Jirovsky

Maiwald

½

:

½

Heidrich

Kalinitschew

1

:

0

Zwanzger

Volke

½

:

½

Döres

Muse

½

:

½

Bade

Löffler

1

:

0

Burggraf

Zwei ausgewählte Partien mit kurzen Kommentaren

   Diese zwei Beispiele verdeutlichen, wo die Ursachen - sicher nicht nur bei diesem Kampf - lagen. Die Spieler aus Franken verbrauchten weitaus mehr Bedenkzeit und griffen bei Initiative des Gegners fehl.

2. Tag

 

   Nach den erwarteten Samstagsresultaten waren die Konstellationen für Sonntag klar. Tegernsee schielte noch auf Platz vier und musste dazu Kreuzberg schlagen, Neukölln wollte auch zwei Punkte gegen den Abstieg, obwohl ein Sieg von Turm Emsdetten gegen Meisteranwärter Lübecker SC als höchst unwahrscheinlich galt. Doch nichts davon traf ein.

   Begonnen hatte es im Mittelfeldduell recht friedfertig. Lau gegen Ribli brauchten keine 30 Minuten zur Punktteilung. Die verlorene Stunde durch die Umstellung auf Sommerzeit und der begeisterte Fernsehkonsum des Boxkampfs von Dariusz Michalczewski am Vorabend waren gute Argumente. Das Spitzenbrett schloss sich zwanzig Minuten später an, während man sich Brett zwei volle zwei Stunden mühte.

 

TV Tegernsee

-

SC Kreuzberg

Khenkin

½

:

½

Socko

Sokolov

½

:

½

Tischbierek

Ribli

½

:

½

Lau

Bönsch

0

:

½

Maiwald

Teske

1

:

0

Kalinitschew

Hertneck

½

:

½

Volke

Kachiani-Gersinska

½

:

½

Muse

Bromberger

0

:

1

Löffler

Ein paar ausgewählte Partien mit kurzen Kommentaren

 

   Karsten Volke brauchte zwar noch 25 Züge, bis er gegen Hertneck das Remis und den knappen Mannschaftssieg perfekt machte, aber dies geschah ohne die geringste Verlustgefahr. Tegernsee rutschte dadurch in der Endtabelle mit 19:11 auf Platz sechs, punktgleich mit den Kreuzbergern, die allerdings 2,5 Brettpunkte weniger aufwiesen. Für den Aufsteiger der optimale Saisonabschluss, da man noch die höhereingeschätzte Startruppe vom SC Baden-Oos hinter sich auf Platz acht ließ. Es bleibt das Fazit, dass man völlig problemlos die gesamte Saison in der oberen Tabellenhälfte mitspielte.

   Dort wären die Schachfreunde Neukölln in Erinnerung an vergangene Spielzeiten auch gerne gelandet. Aber im Rückblick war es ein knappes Rennen um den Klassenerhalt. Dazu hatten schon zwei Überraschungssiege mit jeweils 4,5:3,5 gegen Hamburger SK und SC Baden-Oos früher den Grundstein gelegt. Den letzten Mannschaftspunkt für die 11:19 Bilanz gab es mit Hängen und Würgen gegen die Forchheimer, die zuvor erst einmal ein 4:4 in der höchsten Klasse schafften. Selbst ein Sieg hätte heuer keinem Team einen besseren Tabellenplatz beschert, aber peinlich war die Vorstellung der Gastgeber doch. Letztlich war es Tribut an das Weglassen des zweiten Ausländerbrettes und der mangelnden Spielpraxis von Spielern, die im Studium gerade in Prüfungsstress sind (Berndt und Rudolf).

 

SC Forchheim

4 -

4

SFR Neukölln

Prusikin

½

:

½

Slobodjan

Jansa

½

:

½

Stohl

Jirovsky

1

:

0

Berndt

Heidrich

½

:

½

Polzin

Bartsch

0

:

1

Borriss

Zwanzger

½

:

½

Poldauf

Döres

0

:

1

Thiede

Bade

1

:

0

Rudolf

Ein paar ausgewählte Partien mit kurzen Kommentaren

 

   Unter dem Strich kein Beinbruch, aber eine Warnung am alle Mannschaften, auch in der nächsten Saison keinen vermeintlichen Außenseiter zu unterschätzen. Die Planungen für die neue Saison haben bereits begonnen.

Einige Fotos vom Berliner Bundesliga-Wochenende


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