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Zwischen klassisch und Klassiker

Machtpoker um die Vereinigung der Weltmeisterschaft geht weiter, aber Titanenkämpfe gehören der Vergangenheit an

von Harald Fietz, Juli 2004

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Schach-WM Dannemann

So können sich Sponsoren freuen: Hans Leusen (Zweiter von links), der Präsident von DANNEMANN Brazil, unterstricht, dass sein Unternehmen "zur weiteren Entwicklung und Professionalisierung des Schachsports beitragen soll". Zusammen mit Adriana Madeira, einer Repräsentantin der Region Tessin, wo der Austragungsort Brissago liegt, übergab er den beiden Kontrahenten Wladimir Kramnik (links außen) und Peter Leko nach der Tradition Brasiliens, dem Hauptanbaugebiet des Tabaks für die Schweizer Rauchwaren, jeweils ein Glücksband, mit dem drei Wünsche frei waren. Was werden sich die beiden Topgroßmeister wohl erträumen? Foto: Harald Fietz

 

   Noch stehen sie zum Abkommen von Prag, welches ein Vereinigungsmatch zwischen dem Gewinner aus Kramnik gegen Leko und dem Sieger aus Kasparow gegen den Ersten des Lybien-Turniers vorsieht. Aber mit einem Ultimatum an die FIDE verschärfte der Verband der Schach-Profis am 12. Mai auf einer Pressekonferenz in Hamburg bei der Bekanntgabe der Konditionen der von DANNEMANN Brazil mit einer Million Schweizer Franken dotierten "klassischen" Schach-WM schon einmal den Ton. Ihr Präsident Joel Lautier, ein alter Kramnik-Intimus, schießt verbal - und neuerdings in seiner Funktion als Turnierdirektor der DANNEMANN-WM: Am Ende des Jahres steht ihr Weltmeister längst fest, dann soll die FIDE auch bereit sein, sonst geht man alleine auf Sponsorensuche - eine erneute Abspaltung der WM also nicht ausgeschlossen. Die FIDE treibe - neben der sportlichen Entwertung durch Knockout-Modus und verkürzter Bedenkzeit - ein juristisches und politisches fragwürdiges Spiel, dem sich - Kasparow nicht mitgezählt - neun der 16 besten Schachspieler nicht anschlossen, darunter alle Verbandsweltmeister mit Karpow, Chalifman, Anand und Ponomarjow. "So ein Titel kann nicht als legitim bezeichnet werden", wetterte der ehemalige Kramnik-Sekundant. Auch der jüngste Kasparow-Vorschlag, den schon Ponomarjow lancierte, ähnlich wie 1948 ein Turnier mit acht Spielern zu organisieren, wird vom Trio Kramnik-Leko-Lautier abschlägig beschieden.

 

Schach-WM Dannemann

Kramnik mit den schwarzen Steinen und Herausforderer Peter Leko spielen aus, wer im 14-Partien-Match in der ersten Ansetzung die weißen Steine führt. Leko setzte zuerst eine Figur auf das zuvor festgelegte Feld f5 und bekommt in allen ungeraden Begegnungen den Anzugsvorteil. Foto: Harald Fietz

 

Wladimir Kramnik

Als Frankreich-Liebhaber und Mitglied bei NAO Paris weiß Weltmeister Wladimir Kramnik sich natürlich im Stile des bedeutenden Bildhauers Auguste Rodin, der u. a. "Den Denker" schuf, in Pose zu setzen. Foto: Harald Fietz

 

Peter Leko

Der ungarische Herausforderer Peter Leko hofft auch bei seiner größten sportlichen Aufgabe auf starke Züge. Foto: Harald Fietz

 

Schach-WM Dannemann

Früher als Team gegen Kasparow vereint, jetzt als Spieler-Funktionärsgespann gegen die FIDE: Wladimir Kramnik und Joel Lautier (stehend). Foto: Harald Fietz

 

   Zudem sehen sie sich als Gralshüter des "wahren" Formats: Klassische Bedenkzeit mit zwei Stunden für 40 Züge plus eine Stunde für 20 Züge plus 15 Minuten und 30 zusätzlich pro Zug gilt ihnen als Standard. Doch die guten, alten Zeiten der Klassiker werden nicht zurückkehren. Die Duelle Fischer-Spasski und Karpow-Kasparow fesselten zugleich als ideologische Kriege. Die in den 90er Jahren gereiften Spitzenspieler tickt anders: Man respektiert sich mit ausgesuchter Höflichkeit, durch Computer-Power wurden sie noch stärker, aber eben auch ähnlicher. Ihre Gegensätze sind rein sportlicher Natur - geprägt vom findigen Ergründen der Nuancen des Spiels. Diesen Reiz dem Schachlaien verständlich zu machen, bedarf einer hohen Marketing- und PR-Kunst. Im Centro DANNEMANN in Brissago müssen hier vom 25. September bis 18. Oktober Maßstäbe gesetzt werden. Und dann kommen wieder die Machtkämpfe ...

 

Schach-WM Dannemann

Weltmeister und Herausforderer mit Vorfreude schon auf Abwegen? Stefano Crivelli, Marketing-Manager des Tourismusamts Tessin, erklärten den Supergroßmeistern einfühlsam und eindringlich die Wirkung des regionalen Rotweins. Foto: Harald Fietz

 

 

erschien zuerst als Editorial in Schachmagazin 64, Nr. 10 / 2004


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