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In der Zeitmaschine nach Norden

Schach am Rande Europas

von Harald Fietz, Februar 2001

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   Welch ein Vergnügen, die tägliche Kolumne von John Henderson am 13. Februar 2001 zu lesen, denn es war wie eine Reise in der Zeitmaschine. Ein Dutzend Jahre zurück und Figo wandelte durch Aberdeen, die europäische Öl-Kapitale, die in den 80er Jahren - unfreiwillig (!?) - mit dem Überfluss an Nordsee-Öl-Dollars das Rückgrat der Thatcher-Ökonomie bildete. Studium der politischen Wissenschaften und Müßiggang am Schachbrett konnten nicht verhindern, dass er sich regelmäßig auch ins Pittodrie Stadium verirrte, dieser nur 500 Meter von der rauen Nordseeküste zwischen städtischen Golfplätzen und Cricket Grounds gelegenen Fußballarena, die anno 1980 als erste auf der Insel die berüchtigten Maschendrahtzäume zwischen Spielfeld und Zuschauerrängen abschaffte und sich zudem das erste 'all-seated-stadium' im Heimatland des Fußballs nennen durfte. Sir Alex Ferguson war schon nach Manchester abgewandert, um United zu formieren und der FC-Aberdeen-Ruhm des Gewinns des Europapokal der Cupsieger von 1981 in Göteburg (mit 2:1 im Finale in der 117. Minute der Verlängerung gegen Real Madrid) begann auch langsam zu verblassen. Der Meister kam - wie so fast immer - aus der Finanzmetropole Glasgow und hieß in der Saison 1988/89 Rangers. Die 'Dons' (benannt nach dem nördlich von Aberdeen fließenden Fluß - der südliche heißt sinnigerweise 'Dee') wurden mit schöner Regelmäßigkeit Vizemeister, bevor in den 1990ern Jahren der Absturz ins fußballerische Niemandsland einsetzte.

   In Pittodrie saß man nur zwei Meter vom Spielfeld der 22 Kicker entfernt, aber in Dundee saß Figo nur acht Reihen von IM Colin McNab entfernt, denn im Februar 1989 maß sich Bon Accord Aberdeen mit dem Chess Club Dundee im schottischen Mannschaftspokal, dem Richardsen Cup. Wie in der schottischen National League und der Bundesliga schauten sich dabei 16 Spieler in die Augen, aber die Liga und der Cup waren mit acht Teams quantitativ und qualitativ vergleichsweise dünn besetzt. Doch wie es die schottische Lebensart nach einem ungeschriebenen Gesetz - anders als in der Bundesliga - verlangte, wurde die Gastmannschaft vor oder nach dem Kampf zum Essen und Trinken eingeladen. Obwohl wir noch zwei Stunden Autofahrt aus der Region Tayside zurück nach Grampian vor uns wussten, ward es doch ein fröhliches Gelage nach der 1,5:6,5-Schlappe im Haus der „Polish Servicemen". Dieser Club wurde von versprenkelten Nachfahren der polnischen Staatsdiener betrieben, die im Zweiten Weltkrieg zusammen mit der polnischen Exil-Regierung in London Quartier nahmen und sich dann auch in die Provinzen nördlich der von den antiken Römern erreichten Grenzbefestigung aufmachten.

   Natürlich waren wir „Aberdonians" bemüht, die Niederlage in Grenzen zu halten, aber mit Paul Motwani an Brett 1 und Colin McNab an Brett 2 scharten die damals besten Spieler des nördlichen Teils der Insel auch weitere gute Recken als Meisterschafts- und Pokalfavorit um sich. Mein Remis an Brett 2 sorgte trotzdem noch bei nachfolgenden Weekend Congresses für anerkennende Worte der Gegner. Und diese „Crash Turniere" mit fünf Partien von Freitagabend bis Sonntagnachmittag sind die eigentlichen Tummelplätze der schottischen Schachszene. Dabei ist besonders der Kongress in Aberdeen eine der feineren Adresse, zu der sich auch nationale Schachgrößen wie GM Julian Hodgson und der Exil-GM Bogdan Lalic regelmäßig aufmachen. Am ersten Wochenende im Mai bietet das Pecten-Gebäude, der europäische Hauptsitz von BP, alles, was ein Schachherz begehrt: Einzeltische für alle, freie Soft-Getränke so viel der Magen verträgt, eine gute Kantine und einen Skyline-Blick über die „Silver City", wie Aberdeen wegen seiner vielen Granit-Bauten genannt wird. Wer genauere Informationen zu dieser Veranstaltung erfahren will, der surfe auf die Homepage der Scottish Chess Association, die von IM und Fernschach-Großmeister Douglas Bryson aktuell gehalten wird und unter www.scottishchess.com zu erreichen ist. Alle anderen sollten jetzt noch eine Remispartie nachspielen ...

Fietz,H - McNab,C (2445) [B07]
Dundee (Richardsen Cup), 1989
[Harald Fietz]









Stellung nach:

1.e4 g6 2.d4 d6 3.Sc3 Lg7 4.Le3 c6 5.a4 Sf6 6.Le2 0-0 7.h4 Dieser Zug hat sich in meinem Gedächnis eingeprägt seit bei der Olympiade 1978 in Buenos Aires ein Chinese den Niederländer Jan Hein Donner im Pirc-Sturm zertrümmerte. Ich glaube zwar nicht an Telepathie, aber einen Tag nachdem ich mir diese alte Partie gegen Colin zu Gemütige führte, bringt John Henderson die besagte Partie in seiner Rubrik im 'Scotsman' (natürlich dann auch auf unserer Homepage am 15. Februar). D.h. er muss am Vorabend zum selben Zeitpunkt über diesen Zügen gebrühtet haben! Und der Webmaster schaute sich ein paar Tage vorher die Kombi in einer Kombisammlung an! 7...Db6 8.Dd2 Sg4 9.a5 Dc7 10.Lxg4 Lxg4 11.Lh6 Lxh6 12.Dxh6 e5 13.d5 f6 14.f3 Lc8 15.Dd2 Sa6 16.Sge2 c5 17.Sd1 b5 18.axb6 axb6 19.c4 Ld7 20.Sdc3 Sb4 21.0-0 Txa1 22.Txa1 Db7 23.f4 Le8 24.Tf1 De7 25.Tf3 f5 26.fxe5 dxe5 Weniger gut war 26...Dxe5 27.exf5 gxf5 (27...Txf5 28.Te3+-) 28.Dg5+ Dg7 (28...Kh8 29.Te3 Dg7 30.Dxg7+ Kxg7 31.Te6 Lg6 32.Txd6±) 29.Txf5± 27.Dg5 Das war wohl die mutigste Entscheidung der Partie, den Colin galt und gilt als der beste Endspielkenner unter den 'Highländern'. 27...Dxg5 28.hxg5 Ld7 29.Sc1 f4 30.Sd3 Sxd3 31.Txd3 h6!? Ein interessantes Vorhaben: Die f- und g-Bauern sollen zusammen zum Laufen gebracht werden. Der weiße Bauer auf h6 fällt ohnehin dem scharzen König anheim. 32.gxh6 Kh7 33.d6 Tf6 34.Sd5 Txd6 35.Sxf4! Entschärft eine mögliche Bauernwalze. 35...Txd3 Wenig versprach 35...Td4 36.Txd4 exd4 37.Sd5 Kxh6 38.Sxb6 Lc6 39.Kf2 Kg5 (39...Lxe4?! 40.Sd7 Lb1 41.Sxc5 Kh5 42.b4 La2 43.b5 Lxc4 44.b6 Ld5 45.b7 Lxb7 46.Sxb7 Kg4 47.Sc5 Kf4 48.g3+ Ke5 49.Kf3+-) 40.b3 Kf4 41.Sa4 Lxe4 42.Sxc5 Lb1 43.g3+ Kf5 44.Kf3± 36.Sxd3 Lc6 37.Sxe5 Lxe4 38.Sd7 Da die Bedenkzeit zwei Stunden für die gesamte Partie betrug, bot ich - mit beiden Blättchen bedrohlich auf dem Weg zum Fallen - ein Remis an. Da der Kampf ohnehin entschieden war, reichte man sich die Hände. Bei stressfreier Betrachtung fällt eine andere Entscheidung, aber was auf dem Brett ist gilt! 38.Sd7 Kxh6 39.Sxb6 A) 39...Kg5?! 40.Sd7 Lc6 (40...Ld3? 41.b3 Kf4 42.Kf2 Lb1 43.Sxc5 La2 44.g3+ Kg4 45.Kg2 Kf5 46.Kf3 Ke5 47.Ke3 Kf5 48.Kd2 Lb1 49.b4+-) 41.Sxc5+-; B) 39...Ld3 40.Kf2 g5 41.Ke3 Lf1 42.g3 Kh5 43.b3 Kg4 44.Kf2 Ld3 45.Sd7 Lb1 46.Sxc5 La2 47.Kg2 Kf5 48.Kf3 Ke5 49.Ke3 mit Gewinnstellung. 1/2-1/2

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