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Der Computer war keine große Hilfe

Favoriten Anand und Swidler setzten sich in den Handicap-Matches durch

von Eric van Reem, September 2002

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   Zwei besondere Handicap-Duelle sind in der Rheingoldhalle ausgetragen worden. Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (DWZ 2075) spielte mit einem sehr schnellen Computer, einem mit 2,4 Gigahertz getaktetem Pentium 4 mit 512 MB Speicher gegen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand, der mit einem Pentium-Notebook Pentium 600 MHz und 128 MB Arbeitsspeicher ausgestattet wurde. Beide Spieler durften während der Partie das weltweit bekannteste Schachprogramm Fritz 7 einsetzen, das die schwedische Computer-Weltrangliste anführt. Im zweiten Vergleich traf der russische Großmeister Peter Swidler (Weltranglisten-14. mit Elo 2690) ohne Computerunterstützung auf Eckhard Freise (Elo 2018). Der erste Gewinner einer Million Mark bei der Jauch-Quiz-Show "Wer wird Millionär" durfte ein schnelles Pentium Notebook mit 933 MHz und 256 MB RAM benutzen. Auf die Hardware von der Firma Elphotec aus Mainz wurde der frisch gebackene Weltmeister Junior 7 auf dem Notebook von Freise installiert. Außerdem kopierte sich der versierte Amateur aus Münster noch die Fritz-Powerbooks 2002 auf den Rechner, um in der Eröffnung nicht gänzlich auf Unterstützung angewiesen zu sein. Ernsthaft hat sich Freise auf das Match gegen Swidler vorbereitet. "Während meiner Schnellschachkarriere habe ich mir angewöhnt, bei Analysen mehrere Variantenstränge laufen zu lassen und immer wieder in die einzelnen Zugvorschläge hineinzugehen."

 

Handicap-Matches mit Computer-Unterstützung bei den Chess Classic Mainz 2002

Die Protagonisten der Handicap-Matches mit Computer-Unterstützung bei den Chess Classic Mainz 2002 (von links nach rechts): Ex-Weltmeister Viswanathan Anand, der russische Großmeister Peter Swidler, Professor Eckhard Freise und der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel

 

   Der Oberbürgermeister kam dagegen nicht zum Training. "Nach dem Urlaub ohne Schach und PC geht es Mitte August sofort hinein in die Chess Classic". Vor dem Kampf gegen den Computer-Inder spielte Beutel einige Übungspartien mit dem Berichterstatter, um sich mit dem Computer und mit dem Programm Fritz vertraut zu machen. Auch er entschied sich, während der Partie zwei bis drei Varianten anzeigen zu lassen. Frederic Friedel von der Firma ChessBase gab noch einige wertvolle Tipps und somit konnte Beutel, der am Vortag beim Simultan gegen Alexandra Kostenjuk ein Remis verbuchte, mit einem sicheren Gefühl in den Kampf mit dem erfahrensten Advanced-Chess-Spieler der Welt gehen.

 

Advanced Chess bei den Chess Classic Mainz 2002

Advanced Chess mit Handicap bei den Chess Classic Mainz 2002: Viswanathan Anand (hinten) gegen Jens Beutel

 

   In der ersten Partie wartete Anand geduldig bis sein schwächerer Gegner den Faden verlor, in der zweiten Partie wählte der "Tiger von Madras" eine Anti-Computer-Strategie: Das Zentrum wurde geschlossen, danach verschwendete der Inder nicht viel Zeit, den schwarzen König zu attackieren. Beutel musste sich in der schwierigen Lage völlig auf dem Rechner verlassen, um nicht im Angriff überrollt zu werden. "Man richtet sich doch sehr stark nach dem Computer", resümierte er - doch es half wenig.

   Auch im zweiten Wettkampf siegte menschliche Routine über rechenstarke Computerintelligenz. "Der Computer war keine große Hilfe. Die Zeit war einfach zu kurz um die Engine optimal nutzen zu können", befand Fernschachspieler Freise hinterher. Der Professor war allerdings überhaupt nicht enttäuscht über die knappe 0:5,1;5-Niederlage "Ich bin sehr zufrieden mit dem Remis", sagte Freise lächelnd und zitierte Kommentator Matthias Wahls, "es war ein Sieg des kleinen Mannes." Peter Swidler hatte einige Partien des Jauch-Millionärs studiert, darunter den letztjährigen Simultansieg des Münsteraners gegen Anand. Seine Bilanz war objektiv: "Das Match war sehr schwierig für den Professor. Die Zeit war eigentlich zu knapp, um die Maschine optimal zu nutzen. Es macht ja keinen Sinn, nur die Züge des Computers auszuführen. Ich hatte das Gefühl, dass der Computer bei der Analyse sogar etwas gestört hat." Auf die Frage, ob Swidler das Programm Junior bei der täglichen Arbeit verwendet, antwortete der frisch gebackene Vater von Zwillingen: "In der Regel verwende ich Fritz, aber ich weiß, dass auch Junior ein sehr starkes Programm ist."

   Die enormen Elo-Unterschiede konnten die Amateure mit Computerunterstützung also nicht kompensieren, dafür war die Bedenkzeit (25 Minuten + 10 Sekunden pro Zug) einfach zu knapp. Vielleicht wird in Zukunft ein zusätzliches Zeithandicap für die Profis notwendig sein, um ein besseres Gleichgewicht der Kräfte zu gewährleisten. Frederic Friedel von der Firma ChessBase war sehr zufrieden mit dem Resultat: "Für das Publikum wird es zweifellos interessant sein, zusätzliche Handicaps einzubauen: Man könnte beispielsweise einen Spitzenspieler Simultan spielen lassen, um die Chancen der Amateure zu vergrößern. Allerdings ist das wissenschaftliche Experiment dann nicht mehr so wertvoll. Ich vermute, dass Anand mit einem Notebook ab etwa 500 MHz ein Rating von über 3000 hat. Jens Beutel, den ich sehr schätze, erreicht mit Fritz vielleicht eine Wertungszahl von etwa 2700-2750. Ich fand es phantastisch, dass Peter Swidler ohne Angst gegen Freise angetreten ist. Er hat in beiden Partien großartig gespielt. Es war nicht ganz klar, ob Freise das Computerprogramm Junior optimal eingesetzt hat. Vielleicht schwächte Junior das Spiel des Amateurs sogar etwas. Diese Wettkämpfe haben deutlich gezeigt, dass es nicht so einfach ist, Spielstärke mit Computerunterstützung eines starken Programms zu kompensieren. Starke Spieler, die hervorragend mit Computer arbeiten können wie John Nunn und Vishy Anand, werden in einem Advanced-Chess-Turnier die Nase vorn haben." Warten wir also ab, ob uns Hans-Walter Schmitt und seine Chess Classic Mainz nächstes Jahr neue Erkenntnisse liefern werden.

Die vier Partien zum online Nachspielen:










Anand/Fritz7 - Beutel/Fritz7
Chess Classic Handicap

 

1.Sf3 Sf6 2.d4 g6 3.Lf4 Lg7 4.e3 0-0 5.c3 d6 6.h3 Sbd7 7.Lh2 a6 8.Le2 c5 9.0-0 b6 10.Sbd2 Lb7 11.a4 Dc7 12.Ld3 Dc6 13.De2 Tfe8 14.e4 d5 15.e5 Se4 16.Lf4 Sf8 17.De3 Sxd2 18.Dxd2 c4 19.Lc2 Se6 20.Lh6 Lh8 21.Sh2 Lc8 22.f4 Sg7 23.Lxg7 Lxg7 24.f5 gxf5 25.Lxf5 Dh6 26.De2 Lxf5 27.Txf5 Tf8 28.Taf1 b5 29.Sg4 De6 30.axb5 axb5 31.Df3 Dg6 32.h4 De6 33.h5 h6 34.Sf6+ exf6 35.exf6 Lh8 36.Te5 Dxf6 37.Dxf6 Lxf6 38.Txf6 Kg7 39.Tff5 Ta1+ 40.Kh2 Ta2 41.Txd5 Txb2 42.Txb5 Tc2 43.Tf3 1-0

 
 
 










Beutel/Fritz7 - Anand/Fritz7
Chess Classic Handicap

 

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Dxd4 a6 5.Sc3 Sc6 6.Dd3 g6 7.Le2 Lg7 8.0-0 Lg4 9.Td1 Sf6 10.Sd5 0-0 11.c3 Sd7 12.Lg5 h6 13.Lh4 Lxf3 14.Dxf3 g5 15.Lg3 e6 16.Se3 Sce5 17.Lxe5 Sxe5 18.Dh3 b5 19.Td2 Db6 20.Tad1 Tfd8 21.Sg4 Sxg4 22.Dxg4 Dc5 23.h4 Kf8 24.hxg5 hxg5 25.Td3 Ke7 26.g3 Lf6 27.Lf3 Tab8 28.Lg2 a5 29.Df3 Le5 30.T3d2 Tg8 31.Dg4 Tg6 32.a3 Th8 33.Te1 Kf6 34.Te3 Kg7 35.Td1 Dc4 36.Lf1 Da4 37.De2 g4 38.Td2 b4 39.Dc4 Tgh6 40.Lg2 Tb8 41.f4 gxf3 42.Txf3 Db5 43.Dxb5 Txb5 44.cxb4 axb4 45.Kf2 bxa3 46.bxa3 Tf6 47.Txf6 Kxf6 48.Td3 Tb2+ 49.Kf3 Ke7 50.Lf1 Ta2 51.Tb3 Ld4 52.Le2 Kf6 53.Lc4 Tf2+ 54.Kg4 Ke5 55.Ld3 Lc5 0-1

 
 
 










Prof. Dr. Freise/Junior7 - Swidler
Chess Classic Handicap

 

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.Sf3 Lg7 5.Db3 dxc4 6.Dxc4 0-0 7.e4 a6 8.e5 b5 9.Db3 Sfd7 10.Le3 c5 11.dxc5 Sxe5 12.Sxe5 Lxe5 13.Td1 Da5 14.a3 Le6 15.Dc2 b4 16.axb4 Dxb4 17.Td2 Sd7 18.c6 Sf6 19.Le2 Tac8 20.Lf3 Lb3 21.Dc1 Lc4 22.h4 h5 23.Lh6 Tfd8 24.Le3 Sd5 25.Sxd5 Lxd5 26.Lxd5 Txd5 27.0-0 Txd2 28.Dxd2 Dxd2 29.Lxd2 Txc6 30.Lc3 Lxc3 31.Tc1 Kg7 32.g3 Kf6 33.Kf1 Ke5 34.bxc3 Kd5 35.Ke2 Kc4 36.Kd2 Tf6 37.Ke3 a5 38.Ta1 Ta6 39.Kd2 a4 40.Ke1 0-1

 
 
 










Anand/Fritz7 - Beutel/Fritz7
Chess Classic Handicap

 

1.Sf3 Sf6 2.d4 g6 3.Lf4 Lg7 4.e3 0-0 5.c3 d6 6.h3 Sbd7 7.Lh2 a6 8.Le2 c5 9.0-0 b6 10.Sbd2 Lb7 11.a4 Dc7 12.Ld3 Dc6 13.De2 Tfe8 14.e4 d5 15.e5 Se4 16.Lf4 Sf8 17.De3 Sxd2 18.Dxd2 c4 19.Lc2 Se6 20.Lh6 Lh8 21.Sh2 Lc8 22.f4 Sg7 23.Lxg7 Lxg7 24.f5 gxf5 25.Lxf5 Dh6 26.De2 Lxf5 27.Txf5 Tf8 28.Taf1 b5 29.Sg4 De6 30.axb5 axb5 31.Df3 Dg6 32.h4 De6 33.h5 h6 34.Sf6+ exf6 35.exf6 Lh8 36.Te5 Dxf6 37.Dxf6 Lxf6 38.Txf6 Kg7 39.Tff5 Ta1+ 40.Kh2 Ta2 41.Txd5 Txb2 42.Txb5 Tc2 43.Tf3 1-0

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