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Matthias Burkhalters Buchrezensionen Mai 2002

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Schachrecycling im Büchermarkt

 

Am wunderschönen Bundesturnier in Basel habe ich mich mit einigen neuen Büchern anstatt mit Punkten eingedeckt. Tamas Erdelyi aus Kecskemet ist der Top-Buchhändler an den Bundesturnieren. Zusammen mit Tamas Horvath reist er jedes Jahr mehrere Male in die Schweiz, wo er mit Herrliberg die SMM bestreitet. Er hat zahlreiche Sporttaschen und diese sind stets voller Bücher. Es hat etliche zweitklassige Ware dabei, doch manchmal auch einige Perlen. Und was erstaunlich ist, oft kauft ein drittklassiger Spieler plötzlich ein Eröffnungsbuch, das er gar nicht brauchen kann, denn so ein schönes Buch hat eben auch seine Magie. Doch genug des leeren Geschwätzes, zuerst mal zur Perle:

 

Max Euwe, Jan Timman: Fischer World Champion!
Softback 159 S., New in Chess, Alkmaar 2002, € 21.-, 30 Fr.

 

Ja, wir wissen es, in grauer Vorzeit hat Bobby den Boris geschlagen. Ich habe über diesen Ost-West-WM-Kampf über ein Dutzend verschiedene Bücher, sei es von Gligoric, Alexander, Kalendovsky, Evans, Pachman und natürlich auch von Varnusz. Der vorliegende Band ist aber besonders schön. Er ist die englische Übersetzung des holländischen Originals, das nur an wenigen Stellen verbessert wurde, insbesondere bei der Endspielanalyse. Euwe führt in das Match ein, er war damals FIDE-Präsident und mit seinem diplomatischen Geschick sicher dafür verantwortlich, dass der Kampf der Titanen überhaupt über die 21 Runden gehen konnte. Jan Timman liefert die Analysen, die sehr tiefgründig und seriös sind. Beigegeben sind dem Bändchen auch die fünf Begegnungen Spasski-Fischer vor dem WM-Kampf in Reykjavik. Erstaunlicherweise lautete dabei das Resultat 4 zu 1 für den Russen. Trotzdem war ja Fischer keineswegs beeindruckt und ging mit maximalem Selbstvertrauen und einer politischen Mission in den Kampf. Die Fotos auf den Seiten 89-97 sind nicht überragend, es hätte da besseres und differenzierteres Material gegeben. Bei Seite 97 machen wir aber eine Ausnahme: Sie zeigt den menschenscheuen Amerikaner mit einer isländischen Schönheit das Tanzbein schwingend und dazu lacht der Kerl noch ganz glücklich, Bobby wir fühlen mit Dir und das nach 30 Jahren!

Das war die Recycling-Perle, jetzt kommt natürlich noch die Austernschale:

 

Walter Arpad Földeak: 101 Jahre 101 Partien. Querschnitt eines Jahrhunderts.
Softback 155 S., Caissa, Kecskemet 2002, 16 Fr.

 

Na ja, das ist eben das verflixte Jahrhundert mit den 101 Jahren. Weitere Information: Földeak scheint sich nach 1948 Ritter von Khloyber genannt zu haben, tönt nicht schlecht. Zudem hat er den Silbernen Speer für den 3. Band der Ungarischen Schachgeschichte gewonnen, übrigens ein sehr empfehlenswertes Werk, von dem nun schon 4 Bände vorliegen und das der Schweiz auch gut anstehen würde, fehlt uns doch eine Anthologie dieser Art.

Zurück zum Buch: Das erste Turnier fand ja bekanntlich - haben Sie es wirklich gewusst? - 1851 in Hastings statt. Ich hätte nun eigentlich erwartet, dass ab 1851 jedes Jahr durch eine Partie vertreten wäre, da aber die Kontinuität nicht gesichert war, startet der ungarische Ritter mit dem Jahr 1894, das Jahr in dem erstmals ein amtierender Weltmeister seine Krone abgeben musste. Sinnigerweise macht deshalb ein Sieg von Lasker gegen Steinitz den Anfang. Die letzte Partie ist zwei weiteren Giganten gewidmet: Kasparow-Kramnik, Nowgorod 1994. Was in den letzten acht Jahren passiert ist, fand keine Aufnahme, weshalb wohl bloss, ein Jahrhundert mit 109 Jahren hätten wir auch noch akzeptiert. Das Partieauswahlkriterium bleibt recht vage, wird doch nicht die "Beste" ausgewählt, sondern eher die "Bedeutendste", sei es durch eine nicht alltägliche Kombination, das Auftauchen eine Schachsterns, die Geburt einer Variante oder sonst was. Die Partien sind mit Text recht spärlich kommentiert, dafür hat es für jeden Zweikampf zu einem Diagramm gereicht. Die Schweiz ist mit Paul Johner und zwei Partien Kortschnois vertreten. Insgesamt ein ganz nettes Lesebüchlein, obwohl sich Verlag und Autor ein Thema unter den Fingernägeln rausgequetscht haben. Wir warten auf die Zusammenstellung von 50 Remispartien von Weiss spielenden Grossmeistern gegen Frauenspielerinnen aus Ostblockländern, die nicht älter als 30 Jahre sind und zudem eine halboffene Eröffnung gewählt haben. Wenn der Autor dann immer noch Földeak ist, dann verleihen wir ihm den Goldenen Hammer. Doch das ist alles etwas zu böse für das trotz allem ansprechende Recycling-Bändchen.

Als Quervergleich nehme ich mir Földeaks Partie von 1972 vor, nämlich die 13. Partie zwischen Spasski und Fischer, die natürlich auch von Timman kommentiert wurde: 1.e4 Sf6 Földeak: "Fischers Vorbereitung war einmalig in der Geschichte der Weltmeisterschaftskämpfe. Fast sein gesamtes Eröffnungsrepertoire hat er ausgetauscht! Vor zwei Partien spielte er Sizilianisch - und verlor. Statt eines Verbesserungsversuches wandte er sich einer anderen Variante zu, in der Hoffnung, seinen Gegner unvorbereitet zu finden". Bei Timman heissts (übersetzt): "Am IZT 1970 von Palma de Mallorca hatte Fischer schon einige Male die Aljechin-Verteidigung ausprobiert, allerdings nur gegen schwächere Gegner". Zu 41...Ld5 setzt Földeak ein Fragezeichen und ergänzt: "Fischer merkte nicht, dass die Zeitkontrolle vorbei war und vergab mit diesem unüberlegten Zug seine letzten Gewinnchancen". Timman hingegen kommentiert diesen Zug gar nicht! Wenn ich nun noch bei anderen Autoren nachsehen würde, kämen noch mehr Informationen oder eben Schein-Informationen zusammen. Dazu kommt, dass ein Autor dem andern über die Schultern guckt, und dann Bekanntes in leicht veränderter Form wieder erscheint. Selbst bei Kommentaren der Spieler selbst kommt manchmal mit der Zeit einiges hinzu, das nicht sehr original ist. Schach ist vielleicht etwas Exaktes, Schachjournalismus eben nicht.

An dieser Stelle noch ein kleines Dankeschön all jenen, die mir jeweils bestätigen, dass sie meine Kommentare wirklich lesen und ein besonderer Dank all jenen, die mir geholfen haben, mein Grossratsmandat zu verteidigen. Vielleicht kann ich ja mal in aller Ruhe ein Schachbuch durchschmöckern, während die politische Diskussion im Rat so vor sich hinplätschert, von Bauer zu Bauer, mit Rochaden und En-passant-Zügen ...


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