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Zwei WM waren in Frankfurt dabei

Vom letzten Brett zur Spitze

von Robert Miklos, Juni 2000

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Ordix Open 2000

Einer meiner Glücksbringer, das gelbe Organisatorschildchen.

   Die Frankfurt Chess Classic haben sich über die Jahre hinweg zur inofiziellen Weltmeisterschaft im Schnellschach gemausert. Beleg dafür war dieses Jahr die Teilnahme der zehn elobesten Spieler der Welt, und auch einige der restlichen Schachelite waren in den verschiedenen Wettbewerben zu entdecken. Vermisst wurden u.a. die weltbeste Dame Judith Polgar, der ungeschlagene Weltmeister Bobby Fischer, der Papst und der Fide-Weltmeister Alexander Chalifmann. Dafür spielte aber ein anderer WM mit: Der Webmaster der Schachgemeinschaft Rochade Kuppenheim, also ich - allerdings sorgte das kaum für größeres Aufsehen, vielleicht auch weil ich nur im Ordix Open spielte. Und dort war ich einer von fast 300 Teilnehmern - in den letzten Jahren waren es mehr, dieses Jahr fanden zur gleichen Zeit leider noch andere Turniere statt. Im offenen Turnier spielten 72 Titelträger mit, darunter 31 GM und, wie bereits erwähnt, ein WM.

   Meine Zielsetzung lautete, in den 15 Partien des mit 43.000 Mark sehr gut dotierten Turniers fünf Punkte zu holen. Aber gleich in der ersten Runde wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht: Der Fide-Meister Horst Alber aus Schöneck kannte an Brett 61 keine Gnade. Trotz doppeltem Fianchetto bei entgegengesetzten Rochaden und schwarzen Steinen - also aus fast aussichtsloser Situation - gewann er durch ein schönes Qualitätsopfer, das meinen König völlig entblößte. Das einzig Gute dabei war, dass ich darauf einen schlechteren Spieler an einem hinteren Brett bekommen würde.

   Dass es aber so schlimm kommen würde, hätte ich nie gedacht: Ich fand mich am letzten Brett wieder: Nummer 144! Der Gegner entpuppte sich trotz des Vornamens Alija nicht als Frau - glücklicherweise, ich spiele nämlich bei Turnieren gegen Frauen eher ungern und auch noch viel furchtbarer als sonst. Die angegebene DWZ von ziemlich genau 0 (d.h. er hatte gar keine) verhieß auch nur Gutes. Kooperativ stellte er dann in der Eröffnung einen Bauern ein und schaffte es noch, diesen Nachteil bis zum Schluss zu behalten, als er im Turmendspiel zwei finstere (also schwarze) verbundene Freibauern auf sich zukommen sah und lieber aufgab. Am Schluss hatte er übrigens sechs Punkte, so schlecht war er also gar nicht.

Ordix Open 2000

In der zweiten Runde spielte ich am allerletzen Brett.

   50 Prozent! War doch nicht schlecht. Mein nächster Gegner kannte allerdings keinen Spaß: Ermuntert durch den deutlichen DWZ-Unterschied (2175 zu 1885 zu meinen Ungunsten) spielte er mit Schwarz von Anfang an ziemlich geradlinig auf Angriff und behielt Recht.

   Nach dem ersten Tag befand ich mich also im geplanten Bereich von etwa 30 Prozent. Am zweiten Tag war Gerhard Niebergall (2179) der erste Gegner. Trotz besserer Zeit (sieben gegen drei Minuten) stimmte ich dem gerechtfertigten Remis zu. Ich wollte ja vorsichtig sein. Gar nicht vorsichtig agierte ich in der drauffolgenden Partie gegen Leonadis Bubis von Makkabi Tel Aviv, der am Schluss den zweiten Seniorenpreis gewann. Zwei Opfer bot ich ihm an! Glücklicherweise hatte ich gesehen, dass er sie nicht annehmen durfte. Tat er auch nicht, seine Stellung war dadurch aber so grässlich, dass er irgendwann aufgab. Gekränkt war er allerdings auch und meinte, die heutige Jugend könne nur noch Eröffnungstheorie und sonst nichts. Da in der Partie aber, zumindest meinen bescheidenen Kenntnissen nach, keine Theorie aufs Brett kam (schlimmstenfalls bis zum zehnten Zug), fühlte ich mich nicht angesprochen. Außerdem bin ich mit meinen 24 Lenzen schon ein bisschen alt, um als Jugendlicher durchzugehen ... Spätestens bei der Siegerehrung vertrugen wir uns wieder. Vor der Mittagspause kam ich dann in leichte Zeitnot, da ich aber leicht besser stand (Läuferpaar im Endspiel), war mein Gegner Erich Zweschper (2131) mit einem Remis einverstanden.

   Und plötzlich stand ich schon wieder bei 50 Prozent. Ich konnte befreit weiterspielen, mein Ziel von fünf Punkten würde ich unmöglich noch verfehlen können! Michael Willim aus Schwabach tat mir den Gefallen, in einer mir unbekannten - also fast beliebigen - Variante von Französisch einen riskanten, ja eigentlich verfehlten Bauernvorstoß zu wagen. Schwer zu erklären, dass er mit einer Zahl von 2124 den fast offensichtlichen Einschlag danach nicht in Betracht gezogen hatte, jedenfalls hatte er plötzlich einen Bauern weniger und eine Stellung, in der man gerne fünf Bauern mehr hätte. Helmut Kaulfuss aus Hofheim (2210) deckte mit Weiß meine beschränkten Eröffnungskenntnisse gnadenlos auf: Nach drei Zügen musste ich mich auf meinen Instinkt verlassen, hatte aber Glück, in einer spielbarer Stellung zu landen. Er spielte sogar weiter, als er bereits eine leicht schlechtere Position hatte und schaffte es auch noch, mir die Dame für einen Turm anzubieten. Zwei Züge später sah er es ein und gab auf.

   Ich hatte bereits fünf Punkte! Viel zu sorglos spielte ich an Brett 43 mit Weiß gegen FM Peter Kranzl. Ich erwog schon, aufzugeben, da mir die passive Stellung ziemlich peinlich war. Da ich innerlich sowieso schon resigniert hatte, versuchte ich noch ein offensichtlich inkorrektes Springeropfer. Was war denn in der Stellung noch korrekt? Immerhin sah meine Stellung dann besser aus, zumindest auf den ersten Blick. Dass ich eine Figur weniger hatte, war ja erst auf den zweiten oder dritten Blick zu sehen. Übermutig brachte ich noch ein - na gut, leider notwendiges - Qualitätsopfer und schon spielte ich zu meiner größten Überraschung mit! Wir waren nämlich beide in Zeitnot und sein König stand ein bisschen luftig da, weswegen ein Minusturm nicht so schlimm war. Trotzdem gewann er, gratulierte mir aber nachher zum "tollen" Rettungsversuch aus verlorener Stellung.

Ordix Open 2000

Die Eröffnungsphase gegen FM Kranzl, Harald Fietz findet es jetzt schon lustig - dabei war es am Schluss noch interessanter für Kiebitze.

   Vor dem dritten Tag hatte ich also fünf Punkte aus neun Partien! Gegen Matthias Kraft opferte ich die Qualität für zwei Bauern und bot wenig später Remis an. Er spielte drei Züge weiter und bot seinerseits Remis an. Ich willigte natürlich ein, immerhin hatte er eine Zahl von 2185! Bei der sehr kurzen Analyse kam dann heraus, dass die Stellung, wie das meistens so ist, "unklar" war. Den ersten mir bekannten Gegner, Walter Blössl aus Ladenburg, traf ich in der elften Runde. Er opferte mutig, bedachte aber einen kleinen Zwischenzug nicht, so dass er sofort aufgeben musste! Der nun folgende Gegner war mir noch bekannter, Hartmut  Metz - nein, nein, der war's leider nicht - und ich hatten uns mit ihm am Abend vorher noch über seinen ungewöhnlichen Verein unterhalten: Jürgen Kettner, von der Gefängnisvollzugsanstalt Mannheim. Er spielte besser und stand auch auf Gewinn. Doch in meiner Zeitnot übersah auch er einen "Zwetschgenzug" und hatte plötzlich einen Turm weniger. In der drauffolgenden Hektik bot ich Remis an, er hatte aber schon gezogen und wollte nicht um ein Remis betteln.

   Vor dem letzten Dreier-Durchgang hatte ich also 7,5 Punkte und war auch noch Erster in der Ratinggruppe von 1750-2000, mit einem ganzen Punkt Vorsprung! Da aber noch drei Partien zu spielen waren, konnte leider noch einiges passieren ...

   Tat es auch. Nach der Mittagspause war dann mein bisher stärkster Gegner dran: FM Bernd Rechel aus Hofheim, mit einer Elo von 2399. Wir spielten übrigens an Brett 29! Immerhin schaffte ich es, seine zwei Läufer mittles Baueropfer kurzfristig einzusperren, seine restlichen Figuren reichten aber trotzdem zum Weiterspielen aus und die Läufer kamen dann auch wieder ins Spiel, zuerst langsam und dann immer kraftvoller. Eingeschüchtert baute ich mich in der folgenden Partie im Skandinavier zu zaghaft auf, mein Gegner Daniel Wichmann aus Hannover (2223) hatte aber auch viel mehr gesehen: Während ich mich nur leicht im Nachteil wähnte, war die Stellung schon zwangsläufig futsch.

   In der letzten Runde kam es zum Showdown, fernab jeglicher öffentlicher Aufmerksamkeit am "Schachbrett Nr. 64": Die Nummer 216 der Setzliste (DWZ 1885) mit 7,5 Punkten - also ich - spielte gegen die Nummer 217 der Setzliste, Dieter Böhm aus Stadthallendorf (DWZ 1883), der übrigens auch 7,5 Punkte hatte. Das war vermutlich das Entscheidungsspiel um den Ratingpreis in der Kategorie bis 2000. Keiner wusste ganz genau Bescheid, da die Zwischenstände seit der Mittagspause nicht erneuert wurden.

   Glücklicherweise kümmerte sich mein Konkurrent im Sizilianer zu sehr um seinen b7-Bauern, anstatt auf Gegenangriff zu setzen. Nach einem Bauernopfer kam ich dann zum Turmgewinn, allerdings fingen da die Schwierigkeiten erst an. Wie gewinnt man mit einem Mehrturm und all den sonstigen angenehmen positionellen Vorteilen, wenn man zu allem Überfluss auch noch mehr als genügend Zeit hat? Ich stellte mich bestimmt an wie der erste Schachcomputer, fand aber nach zig Zügen doch noch ein rettendes Matt. Zufälligerweise.

   Es gab dann noch bange Minuten zu überstehen, da ich bis zu dem Augenblick, in dem ich vom Organisator Hans-Walter Schmitt auf die Bühne gerufen wurde, nicht wusste, ob ich denn wirklich den ersten Preis in meiner Wertungsgruppe geschafft hatte - oder überhaupt irgendetwas. Glücklicherweise war ich dann doch mit 8,5 Punkten der Einäugige unter den Blinden zwischen 1750 und 2000, und zwar mit einem halben Punkt Vorsprung.

   Das war mein bisher bestes Turnier überhaupt, ich spielte in den 15 Partien auf dem Niveau von etwa 2230! Auf dem 91. Platz landete ich noch vor einigen Titelträgern  (z.B. IM James Sherwin oder FGM Joanna Dworakowska, die im April das Großmeisterinnenturnier in Bühlertal gewann) und verdiente 500 Mark mehr als viele bekannte Spieler, wie zum Beispiel die Großmeister Klaus Bischoff, Stefan Kindermann, Roland Schmaltz, Loek van Wely oder der deutsche Schnellschachmeister IM Robert Rabiega, die alle leer ausgingen.

   Die Partien, von denen ich bei bestem Willen leider keine einzige mehr vollständig präsentieren könnte, waren auch ziemlich gut, zumindest für meine Verhältnisse. Meine Gegner unterschätzten mich größtenteils, vielleicht auch wegen meines Glücksbringers, dem persönlichen Organisatorschildchen; manche spielten remisige Stellungen weiter, nur um selbst einen Fehler zu machen. Selber kann ich nicht behaupten, richtig grobe Fehler gemacht zu haben! In den verlorenen Partien waren die deutlich höher bewerteten Gegner einfach besser, da kann man als Schwachspieler nichts dafür.

Mehr zu den Frankfurt Chess Classic gibt es in der Rubrik Figo.


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