The final Countdown |
Rochade Express, Nr. 65, Seite 5ff, "The final Countdown"
von Wolfgang Gerstner
Beim diesjährigen Badischen Schachkongress gab es ein totes Rennen zwischen meinem Mannschaftsführer Christoph Pfrommer, dem Zähringer Bundesligaspieler Christof Herbrechtsmeier und meiner Wenigkeit, die den zum Greifen nahen Titel im 37. Zug der letzten Runde verschenkt hatte. Nicht nur wegen meiner dominierenden Rolle beim Schachkongress, sondern auch aufgrund meiner ELO-Zahl und meines aggressiveren Stils wurde ich allgemein als Favorit gehandelt, doch immerhin hatten meine beiden Konkurrenten durch supersolides Positionsspiel bewiesen, dass ein Erfolg alles andere als vorprogrammiert war. Zunächst gab es einigen Ärger in der Vorbereitung auf den Stichkampf. Erst auf den speziellen Wunsch aller drei Spieler hin erklärte sich der Badische Schachverband bereit, den Stichkampf doppelrundig auszutragen, was uns am gerechtesten erschien. Dafür mussten wir an zwei Wochenenden nach Hockenheim reisen - anstatt in Karlsruhe zu spielen, wo die beiden Christof(ph) wohnen -, was in Bezug auf Unterbringung, Übernachtung und Zuschauer in einer leidlichen Katastrophe endete. Bezeichnend war auch, dass am ersten Tag der Schiedsrichter eine Stunde vor Beginn der Runde von seinem Einsatz erfuhr und am vierten Tag die Spieler ohne einen einzigen Verantwortlichen anfangen mussten. Doch nun zum Verlauf des Stichkampfes, dessen Auslosung folgendes Aussehen hatte:
Gerstner - Pfrommer
Herbrechtsmeier - Gerstner
Pfrommer - Herbrechtsmeier
Pfrommer - Gerstner
Gerstner - Herbrechtsmeier
Herbrechtsmeier - Pfrommer
Zu Beginn schien mir eine Fortsetzung des Trompovsky-Theoriestreites mit Pfrommer nicht ratsam, hatte ich doch keine Zeit zur Vorbereitung gehabt. Mir war eingefallen, dass er eine Englisch-Variante einmal mangelhaft behandelt hatte, die ich ganz gut beherrsche, und so brachte ich diese aufs Brett. Er hatte allerdings seine Lücken inzwischen gefüllt, und so endete das Ganze schon bald in einem farblosen Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern, welches wir ohne zu zögern remis gaben. Ein Remis mit Weiß, das war kein optimaler Auftakt, und so musste ich am nächsten Tag gegen Herbrechtsmeier die Partie zweischneidiger anlegen. Doch das dachte er offensichtlich auch und opferte in Kenntnis einer ellenlangen Analyse des Schweizers Keller einen Bauern im Hinblick auf die folgende Stellung:
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Herbrechtsmeier - Gerstner
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Zum Abschluss des ersten Durchgangs gewann nun Pfrommer gegen Herbrechtsmeier in einer mir unbekannten Partie, so dass wir Karlsruher jeweils 1,5 Punkte aufwiesen, während unser zähringer Kontrahent so gut wie aus dem Rennen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich gegen Pfrommer remisierte, war zwar nicht gering, aber diejenige, dass wir danach beide Partien verlieren würden, ging stark gegen Null. So konnte man durchaus vermuten, dass das Match in Runde vier die Vorentscheidung bringen würde, falls dort ein Sieg gelandet werden würde. In diesem wichtigen Duell drei Wochen später hatte sich nach einem wechselhaften Verlauf, während dem Pfrommer einer Fehlrechnung wegen eine für ihn günstige Variante vermieden hatte, die nachstehende Position ergeben:
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Pfromer - Gerstner
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In seiner hochgradigen Zeitnot fand er kein Gegenspiel mehr und überschritt zudem im 40.Zug die Zeit - übrigens zum zweiten Mal bei unseren bisherigen sechs Kämpfen. Damit hielt ich natürlich sämtliche Trümpfe in meiner Hand. Nicht nur hatte ich einen Punkt Vorsprung auf Pfrommer, so dass ein Remis gegen den nunmehr selbst theoretisch nicht mehr Meister werden könnenden Herbrechtsmeier zum Titel reichte, sondern auch noch Weiß, was insofern bedeutsam war, als Herbrechtsmeier gegen Trompovsky maximal gute Remischancen herausholen konnte, wenn er sein übliches System spielte. Doch Herbrechtsmeier zeigte schnell, dass er mir den Erfolg nicht ohne Kampf überlassen würde und brachte ein Pirc zur Anwendung, bei dem ihm frühzeitig die Theoriekenntnisse ausgingen. Um Feuer zu entfachen, opferte er einen Bauern für Initiative, und in diesem Moment traf ich eine Entscheidung, die niemand verstand, da ich ja nicht gewinnen musste: Ich opferte quasi im Gegenzug eine Figur für zwei Bauern und eine für Schwarz sehr unangenehm zu behandelnde Verteidigungsstellung, zumal er zeitliche Probleme bekommen würde. Ohne die Konsequenzen letztlich abschätzen zu können, glaubte ich, dass in einer praktischen Partie eine exakte Verteidigung unmöglich zu finden sei. Lange Zeit bearbeitete ich seinen offenen König und erhielt die folgende vielversprechende Stellung:
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Gerstner - Herbrechtsmeier
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Damit hatte ich zum zweiten Mal den Gewinn der Meisterschaft aus der Hand gegeben, und diesmal war es noch dazu völlig unnötig. Folglich musste ich hoffen, dass Pfrommer mit den schwarzen Steinen nicht gegen den sicheren Herbrechtsmeier gewinnen würde. Doch schon schnell konnte Ersterer die Initiative ergreifen und drückte mit aller Macht gegen die weiße Königsstellung. Ich weiß es nicht genau, aber trotz seiner großen Chance schien er nicht über seinen Schatten springen und Verwicklungen hervorrufen zu wollen, sondern wickelte in ein für ihn zwar besseres, aber kaum zu gewinnendes Endspiel ab, das er auch wenig später mit einem Friedensangebot beendete.
So wurde ich also zum zweiten Mal noch 1991 Badischer Meister, doch im Gegensatz zu damals wenig souverän. Beim Kongress profitierte ich von der allgemeinen Spielschwäche, beim Stichkampf von der fehlenden Risikofreudigkeit meiner Kontrahenten, und zu allem Uberfluss ließ ich zweimal beste Chancen durch die Finger gleiten, so dass ich jeweils auf andere Spieler angewiesen war. Deswegen kann mich der errungene Titel diesmal nicht übermäßig befriedigen, er war aber notwendig, um vom 10.-20.11. in Binz auf Rügen an den Deutschen Meisterschaften teilnehmen zu dürfen.