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Skandale in Wildbad

Jubiläum


Rochade Express, Nr. 61, Seite 12ff, "Skandale in Wildbad"
von Hartmut Metz

   Eigentlich sollte Bad Wildbad der vorläufige Höhepunkt meiner "Karriere" werden. Statt nun aber erstmals deutscher Meister zu werden, heimste ein anderer, der noch in Liechtenstein einen halben Zähler hinter mir landete, den Titellorbeer ein. Doch der Reihe nach: Als badischer Vizemeister wurde ich als erster Ersatzmann für die "Deutschen" nominiert. Nach meiner Rückkehr von der WM in London (siehe gesonderten Bericht) fand ich zu Hause einen Zettel vor, ich soll den Organisator Reinhold Hoffmann von der Firma ChessOrg anrufen. Gesagt, getan. "Bitte schicken Sie mir per Eilbrief ein Passbild für das Programmheft", forderte mich Hoffmann auf. "Wann geht's eigentlich los?" fragte ich nun den Organisator. "Herr Metz, Sie wissen das nicht?" traf mich die vorwurfsvolle Stimme Hoffmanns. "Nein", erwiderte ich trotzig, "ich war die ganze Zeit in London und kann mich nicht um alles kümmern." "Am Samstag um 15 Uhr"; belehrte mich der Organisator ungerührt.

   Da ich meiner Sache nicht so ganz sicher war und ich zur Not im am Freitag um 15 Uhr beginnenden Open mitspielen wollte, beschloss ich schon am Freitag mit Ketino Kachiani-Gersinska, Matthias Menge und unserem neuen Mitglied Harald Fietz (jener, der uns GM Paul Motwani zum Training ins Haus schleppte) in die Kurstadt zu fahren. Da ich aber noch kurzfristig meine Schach-Vorschau für das Badische Tagblatt schreiben musste und zudem einige Schachfotos vom Elsass aus an das Magazin "Europe Echecs" senden wollte, fuhr ich allein und später als geplant gen Wildbad. Kurz vor 15 Uhr traf ich dort ein. Und siehe da: Die deutsche Meisterschaft lief schon munter seit einer Stunde - und ohne Herrn Metz aus Kuppenheim! IM "Ecki" Schmittdiel ging es auch nicht besser. Aus der Traum von der Teilnahme an der "Deutschen". Mit Mühe durfte ich noch im Open starten, da auch dort einige Spieler den äußerst kurzfristig geänderten Starttermin nicht erfuhren ...

   Den Titel eroberte IM Thomas Luther (Empor Berlin), der 6,5:2,5 Punkte erspielte. Dasselbe Ergebnis reichte unserem Erfurter Schachfreund Thomas Pähtz, den wir noch von unseren Vergleichskämpfen nach der Wende in guter Erinnerung haben, nur zum zweiten Rang. Er unterlag Luther nach Stichkämpfen im Schnellschach. Pech für Thomas, da er ansonsten mit seinem Junior zusammen das erste Vater-Sohn-Paar gewesen wäre, das gleichzeitig den deutschen Meistertitel inne gehabt hätte!

   Am stärksten von uns allen spielte Keti, was angesichts ihrer ELO-Zahl wenig verwundert. Nach zwei Runden hatte sie zwei Pfeifen erledigt, ehe als drittes die Oberpfeife persönlich gegen sie antrat: meine Wenigkeit. Der ganze Tag erwies sich als unwürdiges und keinesfalls oscarpreisverdächtiges Schauspiel. Erst die Schlappe gegen Konstanz, um 17 Uhr trafen wir dann in Wildbad zur dritten Runde ein. Erstaunt sah sich Matthias bereits genullt, obwohl wir ausdrücklich mit der Turnierleitung vereinbart hatten, nicht früher spielen zu können. Eines von vielen Ärgernissen bei diesem Turnier. Matthias gelang es mit freundlicher Unterstützung des Rastatters Jörg Eiler, ein Remis eingetragen zu bekommen. Freundlicherweise stimmte der früher in Wildbad eingetroffene Jörg, der auf den kampflosen Zähler verzichtete, der Punkteteilung zu.

   Derweil legten Keti und ich munter los. 1.e4 e5 - da sie meiner Ansicht nach kein Remis haben wollte, gedachte ich, es ihr mit einem zünftigen Königsgambit "reinzuziehen": 2.f4! Ein schlimmer Fehler, der Keti zu der Ansicht gelangen ließ, ich wolle kein Remis. Irgendwie blickte ich die Eröffnung nicht und wähnte mich bereits am Abgrund. Verzweifelt überlegte ich, wie ich die kürzeste Niederlage meiner Karriere, die bisher bei 19 Zügen stand, vermeiden konnte. Zehn Züge noch durchhalten? Mir schien das unmöglich, wollte ich Keti nicht beleidigen. Plötzlich fand sie aber nicht mehr die besten Züge, und ich zog den Kopf aus der Schlinge. Nach heroischer Gegenwehr mündete das Match in ein Endspiel mit einem Mehrbauern für meine Mannschaftskameradin, je einem Springer, aber ungleichfarbigen Läufern. Da wir beide an diesem Tag einigen Müll gespielt hatten, rechnete ich mir trotz der sehr schwierigen Lage noch gute Chancen auf eine Punkteteilung aus - bis der Schiedsrichter kam. Munter redete der auf Keti ein, sie solle die Partie remisieren. Um 8 Uhr wolle man hier dicht machen und wir seien die einzigen, die noch spielten. Ohnehin habe er angenommen, unter Vereinskameraden vereinbare man ein Kurzremis und so weiter. Ich machte dem guten Mann klar, dass Keti nun eben einen Mehrbauern besitze und auf Grund dessen weiter spielen wolle. Der erste Schiri lief davon und beorderte einen Kollegen ans Brett. Auch jener traktierte die inzwischen sichtlich genervte Keti. Meine Einwände nutzten nichts. Bevor es vollends zum Eklat kam und Keti weiter gequält wurde, gab ich die Partie auf. Welch ein Hohn, als mich der zweite Referee bei der Ergebnismeldung allen Ernstes fragte, ob ich denn nun gewonnen habe.

   Keti verlor in der fünften Runde das Spitzenspiel gegen den späteren Sieger Valentin Arbakow, dessen Aufstieg in die Weltspitze angeblich nur der Hang zum Wodka behindert. Nach einem weiteren Remis und einem Sieg kam Keti noch gegen Georg Siegel (Zähringen), den sie in Zeitnot beschwindelte, zu einer sehr glücklichen Punkteteilung. In der Schlussrunde verdarb sich Keti die Chance auf den geteilten dritten Platz, weil sie mehr mit dem Abflug ihres Landsmannes Buchuti Georgadse beschäftigt war als mit ihrer Partie gegen Sergej Galdunz. Meines Erachtens hatte sie ihn schon fast auf der Pfanne, ehe sie ein einfacher Patzer um den Sieg brachte. Nach der Niederlage blieb sie bei sechs Punkten stehen. Dank ihrer sehr guten Buchholz erhielt Keti immerhin noch als Elfte ein paar Mark Preisgeld.

   Weniger gut erging es mir. Neben der bereits erwähnten Niederlage kassierte ich zwei weitere. Beide leicht zu vermeiden und auf idiotische Art zustandegekommen. Erst warf ich IM Adamski den vollen Zähler hinterher, bis dieser ihn endlich nahm, und dann schenkte ich Max Scherer in einem Anflug von völliger Geistesverwirrung - ein Phänomen, das sich anscheinend bei mir häuft - den Sieg. Positiv zu vermerken gibt es lediglich, dass ich erstmals in einem Open keine Partie remisierte und mit Schwarz alle vier Duelle gewann. Mit sechs Punkten und dem geteilten Rang elf blieb ich jedoch hinter meinen Wildbader Erfolgen der Vorjahre.

   Wenig zufrieden schien mir Matthias. 50 Prozent sind für einen Spieler seiner Stärke zu wenig. Irgendwie wirkt er derzeit nicht gelöst genug, um die ein oder andere Partie zu seinen Gunsten zu entscheiden. Harald kam auf 5,5 Punkte, was zufrieden stellend war, da er manch interessante Partie spielte. Das Open gewann Arbakow souverän mit acht Punkten. Nach sieben Siegen in Serie ließ er das Turnier mit Unentschieden ausklingen. Wie riesig Arbakow spielt, zeigt die neueste Weltrangliste, in der er von 2 480 ELO auf 2 575 kletterte. Ein Sprung unter die besten 85 Spieler der Welt.

   Ein sehenswerter Sieg von Keti aus der zweiten Runde:











Kachiani-Gersinska - Scherer
Open Wildbad 1993

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb7 4.Sc3 Lb4 5.Dc2 Dh4 6.Ld3 f5 7.g3 Dh5 8.f3!? [ 8.Le2 Df7 und Schwarz steht etwas besser (Farago-Miles, Hastings 1975/77).] 8...Sc6 9.Sge2 [ 9.Le3? e5! 10.d5 Sd4 ] 9...e5!? [ Möglich ist auch 9...Dxf3 10.Tf1 Dg2 11.exf5 ] 10.0-0! Eine sehr interessante Stellung! Welcher Zug ist der beste für Weiß? [ 10.d5 ist schlecht wegen 10...Sd4 ; 10.a3? exd4! 11.axb4 Sxb4 und anschließend 12..Dxf3.] 10...exd4 [ 10...Sxd4 11.Sxd4 Lc5 12.Scb5 Lxd4+ 13.Sxd4 exd4 14.exf5 0-0-0 ( 14...Lxf3 15.Te1+ Se7 16.Le4 ) 15.Le4 Sf6 16.Lxb7+ und Weiß steht besser.] 11.Sb5 0-0-0 12.Lf4! In dieser Stellung hat Weiß einen Bauern weniger, aber alle Figuren stehen sehr gut. Der Lb4 wirkt deplaziert, die Dh5 ist zu weit vom König entfernt, Th8 und Sg6 spielen noch nicht mit. 12...d6? Etwas besser ist a6. 13.a3 Lc5 [ Besser 13...fxe4 ] 14.b4 a6 [ 14...fxe4!? 15.fxe4 ( 15.Lxe4? d3+ ) 15...a6 16.bxc5 bxc5 ] 15.bxc5 bxc5 16.Tab1! g5? [ Stärker ist 16...Sge7 ; 16...fxe4? 17.Lxe4 ] 17.e5 Weiß braucht diesen Bauern nicht. Wichtiger ist die Diagonale für den Ld3! 17...gxf4 18.Lxf5+ Kb8 19.Sxf4 Dg5? [ Nicht viel besser ist 19...Df7 20.Sxc7! Dxc7 21.Se6 Da5 22.Sxd8 Sxd8 23.Le4 mit gewonnener Stellung.] 20.Sxc7! Sge7 Der Springer kommt zu spät ins Spiel. 21.Sxa6+ Ka7 22.Txb7+! Kxb7 23.Tb1+ Sb4 24.Sxb4 Dxf5 [ 24...Sxf5 25.Sc6+ Kxc6 26.Da4+ ] 25.Sbd5+ 1-0




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