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Aus der Kriminalgeschichte: Morde, die die Welt bewegten

Mord auf Checkmate-Castle, Teil 2

von Wolfgang Gerstner, 1992

zu den Schachtexten

 

Schach-Krimi
Cathy - Sir Donald

 

   "Ein interessantes Endspiel" King vertiefte sich einige Augenblicke in die Stellung "Wer ist denn am Zug?"

"Ich wäre mit Weiß am Zug" sagte Virginia "aber ich glaube nicht, daß wir diese Partie fortsetzen."

Da King jedoch weiterhin interessiert die 64 Felder beäugte, wandten sich auch die anderen - von Cathy abgesehen - den dortigen Geschehnissen zu.

"Eine schwierige Stellung" King rieb sich nachdenklich das Kinn. "Ich bin nicht gerade eine schachliche Leuchte, aber bislang dachte ich, daß es einfacher wird, je weniger Steine vorhanden sind. Wer gewinnt hier wohl?"

"Mit b3-b4 muß Schwarz aus der Opposition" sinnierte John.

"Dann wird es aber nur remis" meinte Patricia und schaute zu George "Aber auf diesen Trick wäre Virginia nie hereingefallen."

"Weiß hat aber ansonsten keine Gewinnaussichten mehr" warf Albert ein "Schwarz erlangt ja in jedem anderen Fall die Opposition."

"Aber nein" widersprach Marian "Weiß muß nur im übernächsten Zug auf eine Kleinigkeit achten."

Die Hand des Chief Inspectors fand an seinem Hinterkopf ein neues Betätigungsfeld, während er vergeblich versuchte, dem Gespräch folgen zu können.

"Also, ich sehe nur ein Remis" wiederholte Albert nach einigen Augenblicken "Weiß kann nur mit dem a- oder b-Bauern oder mit dem König ziehen, was aber nicht hilft."

"Der letzte Zug von George war der entscheidende Fehler" erläuterte Virginia "Bis dahin hatte ich in der gesamten Partie keine Gewinnstellung erlangt. Aber nun ..."

"Hätte Schwarz einen anderen Zug gemacht," meldete sich John "wäre das Remis unausweichlich gewesen."

"Leider" pflichtete ihm Virginia bei "George hatte heute einen sehr guten Tag."

King hatte offensichtlich einen weniger guten Tag im Schach erwischt, denn er verstand nicht allzu viel von dem, was die familiäre Runde im Kerzenschein an Gedanken produzierte.

"Aber solch ein Fehler!" tadelte Patricia kopfschüttelnd "was hast du dir dabei nur gedacht, George?"

"Ich dachte, daß die andere Variante verloren sei" verteidigte sich der Angesprochene.

"Ach so!" rief Albert aus "Klar gewinnt Weiß."

"Du hast aber lange gebraucht, um das zu bemerken" hielt ihm seine Frau schnippisch vor.

"Wenigstens sind jetzt alle einer Meinung," warf King ein "auch wenn ich nicht den geringsten Durchblick habe. Ich sehe keinen Gewinn für Weiß, aber das ist ja auch nicht meine Aufgabe." Hier schwang leichte Resignation in seinen Worten mit. "Ich würde sagen, daß wir uns jetzt einmal anhören, was heute abend hier geschehen ist." Sein Blick schweifte zu der etwas im Hintergrund stehenden Cathy. "Würden Sie uns bitte die Ereignisse dieser Nacht schildern?"

Cathy schluckte erst etwas, ehe sie ins volle Licht trat und erzählte:"Nun, viel weiß ich nicht, da ich in der Küche gearbeitet habe. Normalerweise bringe ich Sir Thomas um 21.30 Uhr noch einen Tee in sein Arbeitszimmer."

"Normalerweise?" forschte King nach.

"Meistens" berichtigte Cathy, die Hände unruhig über die Schürze gleiten lassend "Heute bestellte er mich aber schon für 21.15 Uhr, und exakt um diese Zeit klopfte ich an seine Tür. Er meldete sich nicht, und ich dachte, er habe es vielleicht überhört. Als er aber auch nach dem dritten Klopfen nicht rief - was nicht das erste Mal gewesen wäre - bin ich eingetreten und fand ihn erstochen an seinem Tisch auf."

"War er schon tot?" Ds war mehr eine rhetorische Frage des Chief Inspectors.

"Ich glaube schon" beendete Cathy ihre Aussage "Dann bin ich zur Bibliothekstür gelaufen, und ... und ... das war es."

"War sie offen?" erahnte King.

"Ja" wunderte sich Cathy im Nachhinein.

"Vielen Dank, Cathy" Damit wandte sich King den anderen zu. "Wie lange spielten Sie heute abend schon?"

"Seit dem Stromausfall" antwortete John "Ich konnte nicht mehr richtig bei Kerzenlicht arbeiten, Patricias Lesevergnügen war dahin, und die übrigen trafen wir im Gang. Was also sollten wir tun?"

"In solchen Situationen spielen wir immer Schach" ergänzte George "Es stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl."

"Ach so" Restlos überzeugt klar King nicht. "Spielen Sie eigentlich gut?"

"John und Albert waren vor acht und zehn Jahren Hochmoorjugendmeister," setzte George fort "während Patricia und Virginia bei den Damen hier in dieser Gegend die Konkurrenz beherrschen. Marian und ich fallen etwas ab, sind aber zufrieden."

"Und Sie waren den ganzen Abend hier in der Bibliothek?" hakte King nach "Niemand verließ den Raum?"

"Niemand" bekräftigte Patricia.

"Sie haben immer zugeschaut, Sie alle?" fragte King ungläubig.

"Nun ja" dehnte Patricia "wir standen natürlich nicht wie angewurzelt, sondern gingen hin und wieder auf und ab, holten uns an der Bar etwas zu trinken, tauschten Meinungen über das Spiel aus ... was man so macht während einer Partie."

"Ging jeder von Ihnen zur Bar?" wollte King wissen.

"Ich dreimal" hörte man Albert, und auf diese Zahl legten sich auch die restlichen Familienmitglieder mehr oder minder fest.

"Und wer war zuletzt an der Bar?" kam Kings Frage, wenn auch ein klein wenig zu unschuldig.

Einige Augenblicke, in denen man den peitschenden Regen, welcher gegen die Fenster prasselte, und das rumorende Gewitter überdeutlich vernehmen konnte, war es ruhig in dem Raum, während sich die sechs Erben nacheinander anschauten.

"Keine Ahnung" begann dann Marian "Darauf habe ich nicht geachtet."

"Ich weiß es auch nicht" sagte Albert.

"Darauf achtet man nun wirklich nicht," fügte Patricia an "wenn gerade eine so interessante Partie im Gange ist."

"Ach so" meinte King erneut, innerlich den Kopf schüttelnd "Aber Sie alle waren die letzten Minuten hier am Tisch und haben die Partie verfolgt?"

Die sechs Angesprochenen dachten kurz nach und bejahten dann.

"So, so" King wirkte unentschlossen. "Nun, dann will ich mich einmal in das Arbeitszimmer zurückziehen, um den Fall zu überdenken."

Langsam und bedächtig ging Kingzum anderen Raum hinüber und betrachtete die immer noch geöffnete Tür, bevor er sie hinter sich zuzog. In der Bibliothek verblieben sechs innerlich stark bewegte Personen, deren schwere Gedanken vom prasselnden Regen und stärker gewordenen Gewitter untermalt wurden, und Cathy, die sich ängstlich gegen ein Bücherregal drückte. Nicht einmal der einsame Wolf erhob seine Stimme gegen die Naturgewalten, während die Blitze Checkmate-Castle bald in ein grelles Licht tauchten, bald nur schemenhafte Umrisse sichtbar werden ließen.

So verrannen die Sekunden, als wären es Minuten, und Minuten, als wären es Stunden. Dennoch war kaum eine Viertelstunde seit Kings Rückzug vergangen, als jener wieder in die Bibliothek kam und auf den Tisch zusteuerte.

"Sehr gut!" ließ er sich erfreut vernehmen "Die Stellung ist noch dieselbe."

"Wie bitte?" Patricia war überrascht. "Hat Sie etwa unser Schachspiel mehr beeindruckt als dieser Mord?"

"Keineswegs" antwortete King "Dürfte ich dieses Brett hinüberstellen?"

"Sicher" John schien fassungslos.

"Was wollen Sie denn damit?" Fragte Marian.

"Hilft Ihnen das?" Dies war Albert.

Während King das Elfenbeinschachbrett hochwuchtete, warf er noch einen Blick auf George und erkundigte sich:"Haben Sie eigentlich Ihre letzten Züge schnell ausgeführt?"

George blieb der Mund offen stehen, so war er verblüfft. "Äh, ja," faßte er sich schließlich "Virginia und ich haben drei oder vier Züge, die mir forciert erschienen, sehr schnell gespielt. Ich hatte mir die Remisfalle mit meinem letzten gespielten Zug schon vorher überlegt, aber dieser Zug war wohl doch zu schnell auf das Brett geworfen."

"Und ich wollte gerade ziehen," fügte Virginia hinzu "als Cathy schrie. Ich hatte vielleicht 20 oder 30 Sekunden überlegt, um zu erkennen, daß ich hier recht einfach gewinnen kann."

"Ich danke Ihnen vielmals" Damit verabschiedete sich der Chief Inspector und zog sich erneut zurück.

Und nun die Fragen für die Krimifreunde:

- Wer war der Mörder?

- Wie lief die Tat ab?

- Wie kam King dahinter?

 

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