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Schach hoch 960

Chess960-Simultan bei den Chess Classic Mainz 2003

von Robert Miklos, Fotos Hartmut Metz, September 2003

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   Die Chess Classic gingen 2003 in ihr zehntes Jahr, bis zum Schnellschachhöhepunkt 2000 (mit den Top10) in Frankfurt, dann in Mainz. Jedes Mal waren Simultans eines der Angebote. Dieses Mal gab es eine Premiere, statt Schach sollte das Simultan im Chess960 stattfinden.

   Chess960 ist das frühere Fischer Random Chess; dabei wird die Stellung der Figuren ausgelost, die Bauern stehen wie im normalen Schach davor (nur beim Irischen Random Chess wird die Stellung der Bauern ausgelost, dafür stehen hier die Figuren hintendran wie im normalen Schach). Bei dieser Auslosung der Figuren gibt es einige Regeln, die ein übermäßiges Abgleiten ins Chaos verhindern sollen: Die Läufer sollen auf Feldern unterschiedlicher Farbe stehen (obwohl eine Mittelspielstellung mit verschärften ungleichfarbigen Läufern auch einen gewissen Reiz hätte), der König steht zwischen den Türmen, um die Rochade zu ermöglichen. Die Chess960-Rochade ist dabei bei einigen Auslosungen ungleich dynamischer als im normalen Schach (angenommen der König steht auf der b-Linie, nach der kleinen Rochade ist er plötzlich auf der g-Linie gelandet!); sogar die zwei Kämpfer um die Chess960-Krone Peter Leko und Peter Swidler hatten anscheinend ihre Probleme damit. Die weißen und die schwarzen Steine stehen spiegelbildlich gegenüber - hier hätte es natürlich auch noch eine Möglichkeit gegeben, die Anzahl der Anfangsstellungen deutlich zu erhöhen, einfach indem Weiß und Schwarz unterschiedliche Anfangsstellungen bekommen. Die Anzahl der unterschiedlichen Stellungen, die unter diesen Voraussetzungen beim Chess960 enstehen können, beträgt, wie man leicht selbst nachrechnen kann, genau 957,5.

   Durch diese Regeln soll es schwieriger werden, sich auf ein bestimmtes Spiel vorzubereiten, weil die Auslosung der Figuren kurz vor der Partie stattfindet. Wie bereitet man sich nun auf sowas vor? Ich hatte auf ein allgemeines Taktiktraining in den Tagen und einen guten Schlaf in der Nacht zuvor gesetzt. Leider ging es in der Partie eher um die langfristige Planung und die optimale Koordination der Figuren (das ist doch immer so, oder?) und dass ich ausgeschlafen war machte sich auch nicht bemerkbar.

 

Chess960-Simultan bei den Chess Classic Mainz 2003: Leko gegen Miklos

Peter Leko überlegte eine halbe Ewigkeit am dritten Zug, es war mir damals nicht ganz klar, wieso - heute bin ich auch nicht schlauer.

 

  Chess960-Simultan bei den Chess Classic Mainz 2003: Peter Swidler

Der erste Chess960-WM Peter Swidler war eine halbe Stunde schneller, hier gegen die Promi-Phalanx mit dem Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel (links), Alfred Schlya (DSB-Präsident) und Dirk Jordan, Präsident des Dresdner Schachfestivals, die alle drei mit Unentschieden davonkamen.

 

Schach-Saal

Zwei Simultans im repräsentativen Goldsaal Hilton: Es hat Spaß gemacht!

 

 










Leko,P - Miklos,R
CCM03 Chess960 Simultan, 13.08.2003

1.d4 f5 2.c4?! Eine Ungenauigkeit im zweiten Zug! Das schwächt die Diagonale zum weißen König. 2...c5! Danach musste der ungarische Großmeister erst ein paar Minuten nachdenken. 3.b4!? im Geiste des "Wolga-Gambits" gespielt, ist es aber auch nötig? Da Leko etwa fünf Minuten überlegte, möchte ich mir da keinen Widerspruch erlauben. [ 3.f3 ist z.B. eine solide Alternative: Der weiße König erhält so nebenbei auch noch eine Fluchtmöglichkeit, aber auch andere Züge sind hier durchaus nicht schlechter, Weiß könnte auch mit natürlichen Zügen besonders kooperativ zu einer hübschen Kurzpartie beitragen] 3...cxb4 4.Lb3 verteidigt c4 4...Sb6 und greift c4 wieder an 5.d5 e6 erneut in Richtung c4 gespielt, war vielleicht zu "konkret" [ gut gefallen hätte mir z.B. auch das Raum greifende 5...e5 6.f4 e4 ; oder 5...Sg6 wonach Weiß einfach im Hemd steht, oder?] 6.a3 Go East (immer noch typisch Wolga) - Peter Leko auf der falschen Veranstaltung? Schließlich läuft bei den vom SC Frankfurt-West organisierten Chess Classic vieles unter dem Mott "Go West". Die Kompensation ist nicht unmittelbar ersichtlich, in der komplexen Stellung sind die großmeisterlichen Rechenfähigkeiten ein Riesenvorteil, Grimassenschneiden eine schwache Gegenwaffe - es sei denn, man trainiert diese wie Garri in speziellen Trainingslagern. 6...bxa3 [ 6...exd5 7.c5 Sc4 8.axb4 ] 7.f3 exd5 [ 7...Sg6 8.Ld4 ( 8.c5 Sxd5 9.Lxd5 exd5 ; 8.Dxa3 Sxc4 9.Lxc4 Dxc4 10.Lc5 Le7 11.d6 Lf6 12.Dxa7 ) 8...e5 ] 8.c5 Sc4 9.Ld4 La5+?! [ 9...Lf6! Hier wäre der Zeitpunkt gewesen, ein Remis anzubieten ... Aber in solch einer vorteilhaften Stellung und nach nur 9 (neun!) Zügen?] 10.Kf2 mit Schwarz 3 Bauern mehr und dem supergroßmeisterlichen und, wie sich später herausstellte, vizeweltmeisterlichen König das Rochaderecht geraubt, doch das Läuferschach war verfehlt 10...Sg6? und der Randspringerzug erst recht [ 10...Ld2! 11.Dc2 Dd8 12.Sg3 ( 12.Lxc4? Dh4+ 13.Kg1 Dxd4+ 14.Sf2 dxc4 so hatte ich mir die Partie nach dem zweiten Zug in etwa vorgestellt) 12...Dh4 13.Dd3 Lh6 ( 13...f4 14.Lxc4 fxg3+ 15.hxg3 dxc4 16.Dxd2 De7 ist schlechter) 14.Sc2 f4 15.Lxc4 dxc4 16.Dxa3 fxg3+ 17.hxg3 De7 18.Dxa7 Kf7 19.c6!! dxc6 20.Lc5 ] 11.Lxc4 dxc4 12.Dxa3 b6 Weiß hat es unter gütiger schwarzer Mithilfe geschafft, die Kompensation zu finden 13.Sg3 Dd8 [ 13...Le6 14.Lxg7 Tg8 15.Ld4 bxc5 16.Dxa5 cxd4 17.Dxa7 Kf7 18.Dxd4 ] 14.Lxg7 Dh4 Kaffehausschach auf allerhöchstem Patzerniveau, Peter Leko tauchte nun immer schneller auf. Vielleicht irre ich mich, aber aus den Augenwinkeln sah ich ihn in dieser Runde rennen. 15.Lxf8 Sxf8 16.Kg1 Le6 17.Sc2 Sg6 18.Tfd1 De7 19.e4 Wie im Lehrbuch: König in Sicherheit bringen, Türme in die Mitte, dann Stellung öffnen. Bei Schwarz stehen die Figuren unkoordiniert herum, vor allem der König in der Mitte kann nicht gefallen. Das schwarze Läuferpaar ist wertlos, Leko rannte immer noch ... 19...f4 20.Sf5 Lxf5 21.exf5 Se5 22.Td5 ein einfacher Zug, den ich übersehen hatte, Leko tauchte bereits alle drei Sekunden an meinem Brett auf ... 22...Kf7 23.cxb6 nach diesem Zug legte Leko eine besonders schnelle Runde hin (Rollerblades?). 23...Lxb6+ Nicht, dass es etwas ausgemacht hätte, zuerst die Dame zu tauschen, so oder so ist die Stellung (laut Junior8 und auch nach meinem Gefühl) im Gewinnsinne nicht besonders hoffnungsvoll. Am Schluss hängt immer der schwarze Springer. [ 23...Dxa3 24.Sxa3 Lxb6+ 25.Txb6 axb6 26.Txe5 c3 ( 26...Kf6 27.Tb5 Tc8 28.Kf2 ) 27.Sb5 c2 28.Te1 Kf6 29.Tc1 ] 24.Txb6 Txb6 25.Dxe7+ Kxe7 26.Txe5+ Kd6 27.Te1?! [ 27.Te4! wäre einfach gnadenlos gewesen, so erhielt ich noch eine Chance, ein bisschen weiter zu leiden. Das geplante 27...Tb1+ 28.Kf2 Tb2 scheitert an 29.f6, einem Beispiel, in dem ein Springer weniger wert ist als ein Bauer] 27...Kc5 28.Ta1 a6 29.Ta5+ ganz übersehen, nach etwa 0,9 Sekunden Bedenkzeit, Peter hatte wohl eine unglaublich schnelle Boden-Rutschtechnik im Trainingslager mit Garri Kasparow perfektioniert 29...Tb5 30.Txb5+?! [ 30.f6! wäre mal wieder der strengste Zug gewesen, dieses Mal auch noch schön] 30...axb5 31.f6 [ selbst nach einem schlechten Zug wie 31.Kh1 hat Schwarz immer noch keine Chance 31...b4 32.f6 b3 33.f7 bxc2 34.f8D+ Kd4 35.Dg7+ Kd3 36.Dxd7+ Kc3 37.Dg7+ Kd2 38.Dd4+ ] 31...Kd6 32.Kf2 Ke6 33.Sd4+ Kxf6 34.Sxb5 Ke5 35.g3 fxg3+ [ 35...d5 nach der Partie von Jozsef Bacskulin vorgeschlagen. In einer verlorenen Stellung sind aber alle Züge schlecht 36.gxf4+ Kxf4 37.Sd4 ] 36.hxg3 Kd5 37.Ke3 Kc5 38.Sd4 Weiß blockiert das Bauernduo und hat einen laufbereiten Freibauern, Schwarz gehen langsam die Züge aus, also 1-0

 

   Peter Leko ist ein alter Fuchs in Sachen Chess960/Fischer Random Chess, er spielte es schon vor etwa einem Jahrzehnt (da fing ich gerade im Schachverein mit Klötzchenschieben an) und hatte anscheind mehrmals auch den Erfinder, den ehemaligen Weltmeister Bobby Fischer auf der anderen Seite des Schachbrettes! Es sollte auch noch erwähnt werden dass er mehrfacher Weltmeister im Janus-Schach ist, einer anderen Schach-Variante mit einer zusätzlichen Figur, die die Zugmöglichkeiten von Springer und Dame vereinigt. Und zu erwähnen, dass er im klassichen Schach ein Bär ist, hieße, Euleneiner nach Athen zu exportieren.

   In dieser Partie hat er wohl nicht immer die objektiv besten Züge gespielt, dafür aber einige aggressive und kaum einen richtig schlechten Zug. Die Stellung wurde immer ähnlicher zu denen aus klassischem Schach, spätestens im Endspiel schwanden somit die Chancen, auch weil weniger Partien zu spielen waren, womit er sich noch mehr auf die einzelne Partie konzentrieren konnte. Die Unentschieden an den anderen Brettern des Leko-Simultans gab es allesamt in Mittelspielstellungen, in denen sich der Schwarze vorsichtig verteidigt hatte und Gegenchancen besaß. Anfangs stand Peter in meiner Partie eher schlecht, bot aber kein Remis. Schade, denn ich hätte es natürlich abgeleht!


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