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Buch als Ersatz für geraubte Videokamera

Reinhard Kühl schreibt plötzlich für eine halbe Million Schleswig-Holsteiner / Realschullehrer fasziniert von Kurischer Nehrung

Von FM Hartmut Metz, 5. November 2008

 

"Eine Handvoll Haffwasser" wäre nie zu Papier gebracht worden ohne den dreisten doppelten Diebstahl. Der Audi? Reinhard Kühl winkt gelassen ab. Verschmerzt! Der Grund für sein Buch ist ein anderer und wohl einzigartig: "Mir wurde die Videokamera geraubt - und damit unwiederbringliche Erinnerungen an meine Ostpreußen-Reise!", erzählt der Hauenebersteiner.

Um die Erlebnisse in seiner Traumregion aus dem Jahre 2000 nicht weiter verblassen zu lassen, raffte sich Kühl zu der Erzählung auf 152 Seiten auf. Der Battert-Verlag Baden-Baden druckte den kleinen, blauen Band 2006. Angesichts der Flut an Büchern auf dem Markt wurde es wie die meisten kein kommerzieller Erfolg und kann als "Book on demand" kurzfristig bei größerer Nachfrage vervielfältigt werden.

Eine besondere Auszeichnung erfuhr der Autoren-Neuling aber nun doch: "Völlig überraschend meldete sich der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag und wollte das Werk als Fortsetzungsroman drucken", zeigte sich Kühl selbst verblüfft. Nach Erscheinen hatte er auch den Flensburger Verlag mit einem Besprechungsexemplar bestückt - aber ein Jahr lang nichts mehr gehört. Plötzlich kontaktierte die Chefredaktion von der Küste den 60-Jährigen. Das Honorar bleibt auch diesmal eher symbolisch - doch der Abdruck in den 14 Ablegern der Tageszeitung wertet Kühl als Bestätigung für seinen Titel "Eine Handvoll Haffwasser". Schließlich haben die Blätter von der Sylter Rundschau über den Insel-Boten, die Husumer Nachrichten bis zum Ostholsteiner Anzeiger eine Auflage von 187 000 Exemplaren. So schmökern derzeit täglich theoretisch bis zu einer halben Million Leser in jeder einzelnen der knapp 40 Episoden.

Schachlehrer begründet "Wunder an der Murg"

Schon als Schüler faszinierte Kühl der ungewöhnliche Küstenverlauf zwischen Danzig und Memel. Insbesondere die fast einhundert Kilometer lange Kurische Nehrung hatte es ihm angetan. Der Wunsch einer Reise ins ehemalige Ostpreußen verstärkte sich über die Jahre. Bereits als Student schrieb er eine Arbeit über die Küstenformen. "Und", räumt der Realschullehrer verschmitzt ein, "im Unterricht lasse ich kaum eine Gelegenheit aus, um einen kleinen Schlenker auf das Gebiet zu machen." Manchem Schüler aus den drei Jahrzehnten in Kuppenheim wird das im Gedächtnis geblieben sein.

Berühmter wurde der Pädagoge aber in der Knöpflestadt mit seiner zweiten großen Leidenschaft: Schach. Zusammen mit dem späteren Rektor Heribert Urban gründete Kühl die Rochade Kuppenheim. Aus seiner Schach-AG entstand 1979 der Verein, der in den 80ern das in den Medien gerühmte "Wunder an der Murg" schaffte. Fast ein halbes Jahrzehnt verlor die Schachgemeinschaft kein einziges Punktspiel und heftete einen Titel an den anderen. Kühl selbst trug anfangs als Bezirksmeister ebenfalls dazu bei, ehe seine Talente auch ihn überflügelten. Heute ist der ehemalige Oberligaspieler wie Heribert Urban Ehrenpräsident des Klubs.

Endlich ging es 2000 auf die oft erträumte, aber nie realisierte Reise nach Polen. Bei Kühls Ehefrau Lilo verflog bald die stets gehegte Skepsis. Sie schwärmt heute noch zur Freude ihres Gatten von ihrem "schönsten Urlaub" - ungeachtet des gestohlenen Autos. Kühl reut das heute auch nicht mehr. "Der Audi ist abgehakt, obwohl sich die Versicherung damals sträubte und wenig ersetzte." Sogar mit einem Schmunzeln nimmt er den Verlust hin. "Schließlich warnte uns jeder vor der Reise. Selbst die Polen betonten immer, dass die Russen-Mafia hier Autos klaut. Und just als wir in Litauen waren und nicht gleich die übliche Parkkralle vor dem Hotel montiert bekamen, war das Fahrzeug weg."

Auch davon erzählt das Buch. Der Leser wird außerdem mitgenommen in Nehrungslandschaften ganz "eigenwilligen Reizes", deren Wanderdünen und Sandgebilde eher der namibischen Wüste gleichen als dem, was man sonst von der Ostseeküste kennt. Oder zum Treffen in Dietrichswalde im Ermland mit einer betagten ostpreußischen Bibliothekarin, zu der die Hauenebersteiner Familie seit den Tagen des Eisernen Vorhangs brieflichen Kontakt hält und Weihnachtspäckchen schickt. Oder mit auf die Spuren von Kopernikus, Siegfried Lenz und Thomas Mann, an die masurischen Seen und ans Frische Haff. "Die Aufnahmen mit der Kamera vermisse ich mehr als das Auto", betont Kühl noch einmal. Aber dafür hat er jetzt "Eine Handvoll Haffwasser" gedruckt vorliegen.

Nächstes Projekt: Buch über "Burda-Staffel"

Bestärkt durch den Abdruck im Schleswig-Hosteinischen Zeitungsverlag, plant Kühl nun ein zweites Buch. Das dürfte sogar über den Status eines Erinnerungswerkes hinauskommen. Kühl berichtet aus seiner eigenen Kindheit, die durchaus etwas Besonderes hatte. In den 50er Jahren durfte er als Bub mit seinem Vater von Offenburg aus kreuz und quer durch die ganze Bundesrepublik fliegen. Der Hamburger Buchhändler Claus Kühl war nämlich Initiator und Chefpilot der "Burda-Staffel", einer Werbeformation, die auf unzähligen Flugtagen erschien und mit ihren Vorführungen die Menschen begeisterte. 2008 waren die "Fliegenden Burdas" wieder in aller Munde: wegen des 50. Jahrestages der letzten Landung auf dem Zugspitzplatt. Zum Jubiläum auf Deutschlands höchstem Berg war Reinhard Kühl am 3. Mai als Zeitzeuge geladen und berichtete einer Medienschar von den damaligen Ereignissen.

Ein Band mit alten Fotos und Erinnerungen von der legendären "Burda-Staffel" wird sicher zahllose Fliegerfans begeistern - wahrscheinlich so wie Reinhard Kühl Haff und Nehrungen.


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